engels: Carsten, die goldenen Zeiten der Musikindustrie sind vorbei. Was hat sich für dich verändert?
Carsten Steffens: Früher stellten die Plattenfirmen uns ein sattes Budget zur Verfügung und sagten: „Macht ein schönes Album draus.“ Heute wird jede Studiostunde minutiös abgerechnet und das zu einem vergleichsweise moderaten Kurs. Unterm Strich bleibt wenig übrig, da ich die kleinen Gewinne in Technik und Fortbildung reinvestiere, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Hat man früher den Preis für die Studiozeit den finanziellen Möglichkeiten der Künstler angepasst? Je größer das Budget, desto lukrativer die Stunde?
Ich habe das nie gemacht. Ein Hobbysänger, der bei mir was für seinen Schrank produzieren will, zahlt genau dasselbe wie eine Doro Pesch als weltberühmte Hardrock-Legende.
engels: Anders als klassischer Hardrock ist ein Stil wie Crossover, mit dem die H-Blockx damals groß wurden, ausgestorben. Wie erklärst du dir den Niedergang mancher Genres?
Es war damals etwas Neues. Die Kompositionen waren weniger ausgefeilt als die Rockmusik der späten 80er, dafür lauter und energetischer. Sampler-Programmierung hielt Einzug in die Gitarrenmusik. Man legte irgendwelche Loops unter Rock-Grooves. Innerhalb einer Gattung erschöpft sich das, aber rein technisch gibt es diesen Trend im großen Mainstream bis heute. Mit Ausnahme weniger Retrogeschichten wird alles einfacher.
Was war dein größtes Herzensprojekt bis heute?
Ich habe nach langer Zeit mit einem Weggefährten aus Jugendzeiten ein Album mit feinem Blues und Jazz aufgenommen. „Picks & Licks“ von der Jens Filser Blues Band. Für die Platte habe ich nicht nur Kabel und Strippen gezogen, sondern Schlagzeug und Percussion gespielt. Das Album ist toll geworden und hat den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten. Durch ihn kann man sich auf die Schulter klopfen, ein künstlerisch hochklassiges Werk erschaffen zu haben, aber er generiert keinerlei Verkaufszahlen.
Anders als der Deutsche Buchpreis in der Literatur. Das dort prämierte Buch aus der Hochliteratur schießt alljährlich im Herbst in die Bestseller-Liste. Freilich lesen es nur 10 Prozent der Käufer. Wichtig ist, dass es im Wohnzimmerregal steht, wenn Besuch kommt.
Exakt! Diesen Effekt gibt es im Musikbereich leider nicht.
In einer Reihe kultiger Gespräche mit Frank Laufenberg beschrieb Peter Maffay die Arbeit im eigenen Tonstudio zu seiner rockigsten Phase wie folgt: „Es stank schon auf der Treppe nach Zigaretten und Whiskey.“ Darf man sich Studiosessions so vorstellen? Suff, Qualm, Drogen?
Bei mir war das Anfang bis Mitte der 90er ähnlich – seitens der Musiker. Da ich aber auch mein eigener Technikpfleger bin, fiel mir auf, wie sehr die Geräte darunter leiden. Seither wird im Regieraum nicht mehr geraucht. Ich habe einen gemütlichen Keller eingerichtet, in dem die Gäste bei Bedarf ihren Bedürfnissen frönen dürfen. Es ist aber mittlerweile absolut hoffähig, dass die heiligen Hallen sauber bleiben. Da sagt kaum noch einer: „Ist aber gar nicht Rock’n’Roll bei dir.“ Doch, ist es, auf der künstlerischen Ebene. Man ist sowieso kein besserer Rocker, weil man einen Joint durchzieht oder auf Koks ist.
Gute Rockmusik entsteht nicht wegen, sondern trotz der Drogen.
Hinzu kommt noch, dass die wirklich professionellen Rock’n’Roller längst durch die Bank Asketen sind. Aus Gesprächen mit Leuten, die es aus erster Hand wissen, kann ich sagen: Keith Richards oder Mick Jagger starten ihren Tag mit drei Gläsern warmem Wasser zum Frühstück und joggen nur noch rückwärts. Das Klischee des Exzesses im Rock’n’Roll ist passé. Lange Tourneen sind anders auch nicht zu bewältigen. Professionelle Rockmusik ist Hochleistungssport.
Am besten für das Image ist es, heute asketisch zu leben, aber früher dem Tode nur knapp entronnen zu sein. Das kommt an.
Es gibt aber auch Menschen wie mich, die noch niemals im Leben gekokst, gekifft oder getrunken haben. Als mein Sohn geboren wurde, habe ich ein halbes Glas Sekt getrunken.
Das glaube ich nicht. Nicht mal als Teenager gesoffen? Schützenfest, Kirmes, die ersten Festivals?
Ich hatte keine Zeit für sowas, da ich jeden Tag im Proberaum Schlagzeug geübt habe. Andere haben gefeiert, ich habe mich weitergebildet, um eines Tages Meistertrommler zu sein. Es hat sich gelohnt, denn wo andere vorher jahrelang Unterricht hatten, bin ich damals sogar als Autodidakt auf dem Conservatorium in Arnheim angenommen worden.
Inwiefern bist du als Drummer tätig?
Vor allem als Studioschlagzeuger. Zum Beispiel bekomme ich Aufnahmen von Alben, deren Schlagzeugspuren nicht ganz so perfekt gelungen sind und bessere für den Kunden nach.
Wirst du auch angerufen von Bands, deren Drummer für die Tournee ausfallen?
Das ist mir allein in diesem Jahr zwei Mal passiert. In dem einen Fall musste ich 42 und in dem anderen Fall 60 Songs lernen. Wobei ich zugeben muss, dass es sich in beiden Fällen um professionelle Coverbands handelte. Deren Lieder kennt man meistens schon aus dem Radio und kann sie mit 45 Jahren Erfahrung und musikalischem Gedächtnis schnell reproduzieren. Für eine Kölner Funkband hatte ich allerdings mal 28 originäre Stücke in vier Tagen zu lernen.
Als Vollprofi sind deine großen Idole am Schlagzeug sicher Supervirtuosen wie Dave Weckl, Simon Phillips oder Vincent Colaiuta, oder?
Ich kenne die natürlich alle und habe über die Jahrzehnte von ihnen gelernt, aber meine echten musikalischen Helden sind eher Gitarristen. Unter den Drummern mag ich am meisten Steve Gadd. Bei ihm kann man nicht wie bei Colaiuta sagen, es sei unmenschlich, was er vollbringt, aber gerade das etwas Einfachere und Musikalischere packt mich. Das Weglassen. Auch als Toningenieur arbeiten manche Kollegen zu klinisch, zu wissenschaftlich. Sie schauen, wie viel Hertz eine Bassgitarre in bestimmten Tönen hat und bestimmen danach die Kompression oder gewisse Filter. Ich gehe wie ein Musiker vor und gebe dem Song, was er braucht.
Nun sitzt du mit deinem Studio in Solingen. Das ist, bei allem Respekt, wenig glamourös.
In hatte damals die Möglichkeit, Assistent Engineer in New York zu werden. Die Chance für eine große, internationale Karriere. Zwei Nächte schlief ich darüber… und blieb in Solingen. Mein Vater hat mich für verrückt erklärt. (lacht) Ich liebe diese Stadt einfach. Als Kind bin ich auf der Suche nach Proberäumen durch jede Straße geeiert und war fasziniert, wie schnell man abseits der Hauptwege hier in der endgeilen Natur steht. Von meinem Dachgeschoss aus gucke ich in die Kölner Bucht, bis nach Düsseldorf und ganz weit Richtung Sauerland. Ich will nicht in Köln auf der Inneren Kanalstraße ein tolles Studio haben und draußen sehe ich nur den Fernsehturm.
CD: Jens Filser Bluesband: „Picks & Licks“ | Studio: rockcitystudios.de
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