Nicht weit von Wuppertal entfernt liegt das malerische Schloss Burg. Hoch über den Baumwipfeln Solingens thront dieses authentisch restaurierte Prachtstück – Anziehungspunkt rund ums Jahr. Denn das steinerne Ensemble kündet von einer kalendarisch längst vergangenen Epoche, dem Mittelalter. Und das feiert, zumindest in manchen Kreisen, eine regelrechte Renaissance.
Geselliges Mittelalter
Minnesang und Morgenstern erleben einen neuen Frühling. Bücher und Filme wie „Herr der Ringe“' und „Eragon“', Rollen-, Gesellschafts- und Computerspiele mit mittelalterlichen Themen sind angesagt. Zur besten Sendezeit laufen im Fernsehen Geschichtsdokumentationen, und kleine Jungen basteln sich Holzschwerter oder bauen mit Playmobil und Lego Burgbelagerungen nach. Was irgendwie primitiv und deshalb vormodern wirkt, übt auf viele Menschen offenbar eine große Faszination aus.
Heiter geht es bei den regelmäßig geführten Besichtigungen Schloss Burgs zu, bei denen die Lebensumstände vergangener Zeiten veranschaulicht werden. Ein Verlies des Kerkermeisters gibt es nicht, also muss man sich die wohlige Schauer auslösenden Geschichten von Gaunern, Mördern und Dirnen, denen in den kalten Gemäuern Daumenschrauben angelegt wurden oder die auf Streckleitern gedehnt wurden, anderswo anhören. Hauptattraktionen in der alten Bausubstanz mit ihren Insignien des Wohlstandes sind Ritter- und Ahnensaal, in denen man von frivolen Hofbällen träumen darf, und natürlich die Kapelle. Schließlich zog man nicht einfach so hinaus in die Welt, sondern hatte gerne Gottes Auftrag auszuführen. Für den man sich vorher ebensolchen Segen holte.
Abtauchen in eine andere Epoche
Der Ritter also, diese Gestalt im unpraktischen Metall-Outfit, der im Märchen zwanghaft Königstöchter befreit, gehört nicht zum Alteisen, sondern zum unterhaltsamen Alltag. Zum Kaltenberger Ritterturnier in Oberbayern, dem größten Mittelalter-Festival seiner Art, pilgern Heerscharen von Besuchern, mehr als 12.000 pro Veranstaltung. Für die schöne Rittershow muss aber nicht weit gereist werden, schließlich gibt es Ritterspiele auf Schloss Burg. Hier streifen sich die Darsteller eines der wallenden und oft reich verzierten Gewänder über, statten sich mit Tasche und Gurt aus kräftigem Leder aus und entern mit dem Stück „Erbfolgestreit im Bergischen“ die Bühne. Mechthild, ebenso jung wie schön, schwebt in Gefahr. Ihr habgieriger und ruchloser Onkel will ihr das Erbe abluchsen und sie als Hexe verbrennen lassen. Geistesgegenwärtig flieht sie ins Kloster und wird dort von einem Helden, dem Ritter Wolfgang von Kronenburg, gerettet. Von den grausamen Rittern des Onkels verfolgt gelingt die Flucht bis zur Kronenburg. Dort kommt es zum Showdown, also entscheidenden Kampf, dem überraschenderweise die tapfere Mechthild eine unerwartete Wendung gibt. Letztlich ist im „Erbfolgestreit ...“ das Mittelalter aber keine bierernste Angelegenheit. Kleine Stilbrüche bei Kleidung und Ausstattung müssen keinen in Gewissensnot bringen.
Das Mittelalter ist schön – wenn man nach dem mitreißenden Spektakel wieder in die Gegenwart zurückkehren kann. Müsste mit der Armbrust etwas zum Abendessen erlegt werden oder bloß ein Wintertag mit zusammengenähten Felllappen an den Füßen überstanden werden, hörte der vermeintlich so exotische Zauber schnell auf. Zur Erinnerung: Die Lebensbedingungen ließen damals ziemlich zu wünschen übrig. Das jetzt so malerisch anzusehende Schloss Burg-Ensemble war damals eher ein Rohbau, exklusive Heizung. Die Kindersterblichkeit war hoch, es grassierten grässliche Krankheiten wie Pest, Cholera und Malaria. Mit dem lieblichen Image und dem unterhaltsamen Schwerpunkt inklusive spektakulärer Turnierkämpfe im „Erbfolgestreit ...“ hat all das nichts zu tun. Aber für ein paar Stunden von Edeldamen, rettenden Rittern und aufregenden Turnieren zu träumen, ist doch in den Theaterferien mal sehr schön.
Ritterspiele I 11./12./18./19.8. 11/14/16 Uhr I Schloss Burg I 0212 242 26 11
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
„Schauspielerfahrung schult perspektivisches Denken“
Schauspieler Thomas Ritzinger hat mit „Die letzte Nachtschicht“ einen Roman geschrieben – Interview 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24
Richtig durchgestartet
Der Wuppertaler Verein Insel – Porträt 05/24
Ethel Smyth und Arnold Schönberg verzahnt
„Erwartung / Der Wald“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 05/24
„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24
Auf die Melancholie die Liebe
Theatergruppe Bamboo inszeniert frei nach Georg Büchner – Bühne 04/24
Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24
„Es geht nicht mehr um den romantischen Naturort“
Manuel Schmitt inszeniert „Erwartung / Der Wald“ an der Oper Wuppertal – Premiere 04/24
Von der Liebe enttäuscht
Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ in Wuppertal – Auftritt 04/24
„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24
„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“
Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23
Knechtschaft und Ungerechtigkeit
„Cinderella“ im Opernhaus Wuppertal – Oper 12/23