Es müssen wohl zu Unrecht sehr viele Werke in Archiven und Schubladen verstauben. Dazu gehören gerade solche von Komponistinnen, die es zu Zeiten der Männerdomäne mehr als schwer hatten, sich durchzusetzen. Wuppertals Opernintendantin Rebekah Rota will das nun ändern. In dieser Spielzeit holt sie die britische Ethel Smyth (1858-1944) aus der Versenkung. Die war zeitlebens bestrebt, als gleichrangig mit ihren männlichen Kollegen gesehen zu werden. Zwar wurde sie sehr geschätzt von namhaften Persönlichkeiten wie den berühmten Dirigenten Bruno Walter, Arthur Nikisch und Sir Thomas Beecham, die für Aufführungen ihrer Werke sorgten. Doch generell war die Ablehnung groß. Ihr reichhaltiges Oeuvre führt ein stiefmütterliches Dasein und ist kaum bekannt. Dieser Zustand scheint sich aber allmählich zu ändern.
So kommt nun ihre einaktige Oper „Der Wald“ aus dem Jahr 1902 nach rund 100 Jahren in Deutschland wieder auf die Bühne. In diesem einstündigen Opus geht es um eine tragische Viereckgeschichte. Röschen steht die Hochzeit mit Heinrich kurz bevor, der zum Fest trotz drohender Todesstrafe ein Reh wildert. Die Untat kommt raus. Die Landesherrin Jolanthe, die den Bräutigam für sich haben will, bietet an, sein Leben zu retten, wenn er ihr folgt. Doch er verweigert sich ihr. Darauf lässt sie ihn sterben.
Vorangestellt ist Arnold Schönbergs halbstündiges Monodram „Erwartung“. Auch hier stellt sich der Komponist zu seiner atonalen expressionistischen Tonsprache einen Wald vor. Darin geht es aber um keine herkömmliche Handlung, sondern um das Seelenleben einer Frau, die – von Hoffnung und Angst getrieben – auf der Suche nach ihrem Liebsten umherirrt.
Regisseur Manuel Schmitt gelingt es trotz der verschiedenen Musikstile und Inhalte, beide Werke dramaturgisch schlüssig miteinander zu verzahnen: Das erlegte Reh und Gestalten aus Smyths Oper tauchen bei Schönberg in einer Rezeption auf, in der die Frau quälende Seelenzustände durchlebt. Diese erscheint ganz zum Schluss in der nach hinten erweiterten Empfangshalle und umarmt den sterbenden Heinrich. Der Kreis hat sich geschlossen.
Auch darstellerisch und stimmlich bleiben keine Wünsche offen. Hanna Larissa Naujoks variabler Sopran spiegelt bei Schönberg ergreifend die psychischen Zustände der Frau wider. Diesen hohen Qualitäten stehen Sopranistin Mariya Taniguchi als Röschen und Edith Grossmann (Mezzosopran) in der Rolle von Jolanthe in nichts nach. Auch die anderen Sänger brillieren mit großartiger Stimmen. Erstklassige Gesänge kommen außerdem von Chor und Extrachor der Wuppertaler Oper (Einstudierung: Ulrich Zippelius) als Waldgeister.
Dazu entlockt Generalmusikdirektor Patrick Hahn dem Sinfonieorchester Wuppertal bei Smyth schöne romantische Klänge und sorgt bis für einen angemessenen farbigen kammermusikalischen Schönberg. Nur sind hier die Haupt- und Nebenstimmen, die sich auf die Orchesterinstrumente verteilen, nicht immer ganz klar herausgearbeitet. Auch sind einige Pegel im Fortissimo bei Tutti-Stellen für die Sänger nicht immer angenehm.
Verdienter lang anhaltender Beifall ist der Dank für eine spannende Produktion, die es lohnt, auch in die nächste Spielzeit übernommen zu werden.
Erwartung / Der Wald | 4., 10., 18.5. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 00
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