„Es ist eine tolle Geschichte vom Erwachsen werden in einer Welt mit vielen Vorbildern“, fasst Regisseurin Beate Rüter den Inhalt „Parzivals“ zusammen. Damit dieses von Wolfram von Eschenbach im 12. Jahrhundert als Versroman verfasste Epos auf „humorvolle Art und spannend zugleich“ erzählt werden kann, bedient sie sich der Version der Dramaturgin Katrin Langes, die die ausufernden 25000 mittelhochdeutschen Verse in eine im neuen Millennium verständliche Sprache übertragen hat.
In einer familientauglichen Inszenierung ist der Kern der Geschichte geblieben. Parzival, der eine Existenz fernab der Welt mit einer einzigen Bezugsperson, seiner Mutter, führte, macht plötzlich und unvorbereitet eine ziemlich steile Entwicklung durch – das Landei will Ritter werden. Dass er tatsächlich geht, nachdem drei Männer in goldglänzender Rüstung vom fröhlichen Partydasein und einer Aneinanderreihung unfassbarer Abenteuer als Ritter vorschwärmen, bricht der Mutter das Herz. Sie stirbt. Parzival schert das nicht. Vom Onkel im Schnelldurchlauf in die Grundzüge des Traumjobs eingeführt, behält er einen Tipp: bloß keine Fragen zu stellen. So kommt er zur Gralsburg. Er weiß nichts vom Leben. Schon gar nicht, dass er ein Königssohn ist, dessen Vater in der Schlacht vor besagter Gralsburg starb, von König Anfortas getötet, dem Hüter des heiligen Grals.
Wie ein Teekessel unter Hochdruck
Dümmlich zieht Parzival los, um vor allem seine Helden Gawan, Kundrie und Trevrizent wiederzufinden, die ihm von dem aufregenden Leben vorgeschwärmt haben. „Das ist der Weg hinaus ins Leben. Parzival erkennt, dass er auserkoren ist. Aber er ist alles andere als ein Sympath“, beschreibt die Regisseurin den Charakter. „Erst in weiteren Begegnungen begreift er, dass es mehr gibt als egoistisch zu sein.“
Dass er zunächst keine empathischen Fähigkeiten hat, liegt an der „Mutter, die ihn so hermetisch abgeschirmt hat. Unsere Welt hat viele Tücken und Gefährdungen. Und der Versuch, ein Kind davor bewahren zu wollen, indem man es vor der Welt versteckt, ist falsch.“
Es sind nicht nur Abenteuer, die ihn verändern, Frustration und aufgestaute Konflikte, die aus dem Berserker am Ende einen Helden machen, „sondern vor allem ist es die Frage, wie und von wem man lernt“. Gawan, Kundrie und Trevrizent behaupten zu wissen, wo es langgeht. Parzival lässt sich gerne manipulieren. Bei seiner Suche nach dem heiligen Gral stoßen Welten aufeinander und „erwachsene Figuren, die nur mit sich selbst beschäftigt und deshalb auf Parzivals Weg keine guten Begleiter sind.“ Wie wachsen Jugendliche auf? Mit welchen Dingen müssen sie sich auseinander setzen? Wie verlaufen Wege in die Gesellschaft? „Was hat es mit Idolen und Vorbildern auf sich?“, beschreibt Beate Rüter für sich zentrale Aspekte des Stücks. Mit Condwiramurs wird dann ein Happyend eingefädelt. Sie ist nicht bloß eine selbstlose Erlöserfigur, sondern eine Frau mit eigenem Profil.
Die zweite Chance
Ist Parzival am Ende geläutert? „Das ist die Frage“, sagt Beate Rüter. Er lernt Regeln, wird zum Wesen mit Gewissen - könnte auch rückfällig werden, also egoistisch und ohne Rücksicht auf Verluste seinen Weg machen. Aber zunächst hat er eine zweite Chance bekommen, „wie es sie oft im Leben gibt, wenn man sich dafür interessiert.“ Und er bewährt sich im Konflikt zwischen Versuchung und Machtmissbrauch, sieht Konsequenzen der Zerstörung und kann so den Heiligen Gral finden. Auch der ist in der Inszenierung entstaubt und entmythologisiert. „Der Gral ist etwas, von dem Frieden ausgeht, das den Menschen positiv verändert. Er könnte einen paradiesischen Zustand erschaffen.“
Bühnenbild und Kostüme deuten das mittelalterliche Spektakel eher an, „ein Mythos wird erzählt, aber nicht wortwörtlich auf die Bühne gebracht“. Gerafft und gestrafft kommt die 800 Jahre alte Geschichte als zeitloses Dokument über das Suchen und Finden einer eigenen Identität als „spannende Geschichte auf die Bühne. Sicher ist das auch eine Abenteuergeschichte, aber mit vielen Inspirationen und Ideen.“ Gewalt soll nicht banalisiert, sondern überzeugend verfremdet werden. Mit einem Stuntman wurden die Kampfszenen ausgearbeitet – für Action ist also gesorgt. Und ob mit der Inszenierung ein Beitrag zur Moral unserer Gesellschaft geleistet wird oder bloß gut unterhalten wird, zeigen Premiere und weitere Aufführungen.
Parzival (Unterm hohen Himmel)
Premiere am Samstag, 12. März, 16 Uhr
Aula Bundesallee 222
weitere Aufführungen Mittwoch, 30., und Donnerstag, 31. März, je 18 Uhr
www.kinder-jugendtheater.de
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