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Foto: Stadt Wuppertal

Die Wuppertaler Bourgeoisie und der verlorene Sohn

19. Februar 2020

Engelsjahr: Auftakt im Opernhaus – Spezial 02/20

„Ich habe auch nicht um Erlaubnis gebeten, als wir am 1. Mai anno 1849 die berühmten Barrikaden-Tage von Elberfeld organisiert haben“, rief der Revolutionär ins Opernfoyer. Und weiter: „Was hier im Lande, und ganz speziell in Wuppertal passiert, braucht den Vergleich mit dem autoritären preußischen Polizeistaat wahrlich nicht zu scheuen.“ Offizieller Teil des Engelsjahr-Auftakts war dieser Aufzug nicht, sondern linksautonomer Protest gegen aktuelle Repression. Zur Feier eines Rebellen muss ein Bericht ja nicht staatstragend starten.

Das Engelsjahr ist da. Und das städtische Eröffnungsfest ging groß im Opernhaus über die Bühne. Städtische Feiern sind systemkonform, das müssen sie auch. Doch ist der Geehrte zufällig Miterfinder des Kommunismus. Das sorgt das für Reibung und Skepsis – gerade in Zeiten globalisierter Exzesse. Auch Ratsherr Bernhard Sander von den Linken verteilte vorab Kritisches und spöttelte eine halbe Stunde später auf Facebook aus den Opernreihen: „Gleich feiert die Wuppertaler Bourgeoisie ihren verlorenen Sohn.“ Das ist ja alles wahr und richtig. Aber schön war es doch.

Einen starken Eindruck gab schon der Hinweg: Menschengruppen im Pulk vor dem Haus bis hin zur B7-Verkehrsinsel, die die Opernwand bestaunten. Der Lichtkünstler Gregor Eisenmann zeigte hier eine aufwändige Video-Collage, die Engels’ Wirken mit Briefen, Fotos und vielem mehr beleuchtete und über Stunden weithin die Blicke auf sich zog.

Es moderierte die fernsehbekannte Bettina Tietjen, die selbst aus Wuppertal stammt. Oberbürgermeister Andreas Mucke sprach zu Beginn, begrüßte Publikum und die Ehrengäste. Ein Hinweis galt gleich Engels‘ Wechselbeziehung mit dem Tal: „Er prägte unsere Stadt – und sie prägte ihn.“ „Auch aus direktem Erleben“ sei das politische Bewusstsein des Barmer Unternehmersohns erwachsen. Nach dem Prinzip Pro und Kontra benannte der SPD-Politiker auch realsozialistische Schattenseiten wie staatliche Bevormundung – nach der Würdigung von Engels „inspirierter“ Fortschritte, wie hiesiger Abschaffung der Kinderarbeit oder Einführung des Kündigungsschutzes. In Anspielung auf Engels‘ einstige Vertreibung aus der Stadt hieß der OB ihn nun erneut willkommen. Dass das auch Vereinnahmen heißen kann, mochte sich denken, wer wollte.

Oberbürgermeister Andreas Mucke, Foto: Stadt Wuppertal

Isabel Pfeiffer-Poensgen, NRW-Kulturministerin, wies in ihrem Grußwort auch auf das kulturelle Wirken des Revolutionärs hin, der etwa auch Gedichte geschrieben hat. Zu seinem HHheimatbezug zitierte sie humorig Engels‘ halbbitteres Diktum zum Rheinland: „Ein schönes Land – wenn man darin nur leben könnte.“

Zu den Besonderheiten auf der Bühne gehörte der Bürgerchor: Frauen und Männer aus der Stadt, Laien also, brachten dem Abend beeindruckende Stimmkraft und musikalisches Drama. Markus Baisch, der auch den festen Kinder- und Jugendchor der Bühnen leitet, hatte es einstudiert und eine thematisch passende Auswahl getroffen: In Albert Lortzings Werk verborgen findet sich, ganz anders als in seinem biedermeierlichen Werk zu vermuten, ein früher Chor streikender Arbeiter: „Wir wollen nicht! Was hätten wir davon!“, das klang würdig und opernhaft, doch auch gebührend kraftvoll. Freilich: Letztlich mochte das „nur“ schön sein.

Handverlesen auch sonst die Musikauswahl: Das Sinfonieorchester Wuppertal gab Erstaunliches zu hören mit „Die Eisengießerei“ von Alexander Mossolow, einem Komponisten in der frühen Sowjetunion. Mit beharrlicher Repetition wie auch einem Instrumenteneinsatz, den man fast Sounddesign nennen mochte, gestaltete das Stück moderne Industrie mit sinfonischen Mitteln. Dagegen „Die Loreley“ mit dem Bürgerchor: Groß und zu Herzen gehend füllte Silchers Heine-Vertonung den Saal; ebenso richtig wäre: Vertraut und einvernehmlich. Was das mit Engels zu tun hat, hatte Moderatorin Tietjen zuvor geklärt: Heine und Engels hätten sich gekannt, und auch Arbeitsbeziehungen hatten beide demnach. Wer immer noch Verwässerung des Barmers witterte, mochte die Gemeinsamkeit auch anders fassen: Auch der Dichter aus Düsseldorf war doch ein Querkopf und seine Reduzierung auf touristentaugliche Romantik bestenfalls ein Missverständnis. Schön? Schon.

Foto: Stadt Wuppertal

Vom Schauspielensemble gab es Ausschnitte aus Engels‘ Elberfelder Rede von 1845. Julia Meier, Julia Wolff und Philippine Pachl brachten sie abwechselnd zum Vortrag, immer wieder unterbrochen durch ein witziges „Meine Herren!“. Er sah darin in einer kommunistischen Gesellschaft die Konkurrenz der Klassen aufgehoben und sagte eine soziale Revolution voraus, denn: „Woraus entspringt … der schroffe Gegensatz von arm und reich, die Stockungen des Verkehrs und die daraus entstehende Verschwendung von Kapital? Aus keiner anderen Ursache als aus der Zersplitterung der Interessen.“ Als O-Ton-Vortrag war das lebendig. Recht packend und heutig machte die Lehre aber vor allem der Text „Maschinenwinter“ von Dietmar Dath, aus dem Schauspieler Martin Petschan vortrug: „Selbstverständlich ist eine Gesellschaft schweinisch, die einerseits für ihre Spitzensportler Laufschuhe mit eingebauten Dämpfungscomputern bereitstellt, andererseits aber […] einen Pflegenotstand erträgt, für den sich tollwütige Affenhorden schämen müßten.“ Wobei es mehr um die fortschreitende Ersetzung von Menschen durch Apparate geht, die auf der Hand liege: „Das leuchtet den Dümmsten ein und könnte den Faulsten Verheißung sein. Aber es ist stattdessen eine Geißel für die aus der Erwerbsarbeit Gefallenen: Du bist überflüssig, wirst nur noch geduldet!“ Ein Fall von recht Frechem im Programm waren diese Passagen des marxistischen Autors und Journalisten, den wahrscheinlich manch Gesetzter im Saal noch nicht kannte; Moderatorin Tietjen jedenfalls kannte ihn nicht.

 Klar, das „Arbeiterliedermedley“ ließ sich ganz unpolitisch goutieren: Konnte man die zackigen Marschbewegungen der Schauspielerinnen anders verstehen als ironisch? Warum nicht anders sehen: Ein „Bella Ciao“, ohnehin derzeit als Charts-Erfolg massenkompatibel, macht Partisanenkampf anrührend und besetzt Revolte emotional. Ein bisschen.

Wenn dann zum Schluss vor versammelter Systemprominenz die „Internationale“ erklang („gern mitsingen!“), dann mochte das arg nach Folklore riechen. Aber warum nicht mit Ironie zur Hommage? Das Jahr ist noch lang, das Programm enthält durchaus Widerständiges, und die Hochstimmung vom Auftakt bietet für jeden gute Gelegenheit, „sein“ Engelsjahr zu planen. Aktuelle Verwerfungen der Textilwirtschaft studieren zum Beispiel („Primark vs Engels“, 18.6., börse). Oder heraus stürmen zum 1. Mai: Der DGB zum Beispiel startet seinen Protestzug im Engelsgarten – der ist dann wahrscheinlich frackfrei. Ein Festakt mit derlei Impulsen wäre nicht nur schön, was schon ein Wert für sich wäre. Sondern hätte sogar Sinn.

Martin Hagemeyer

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