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Vortrag und Diskussion bei Knipex – natürlich mit Sicherheitsabständen
Foto: Christoph Grothe

Gemeinschaftlich statt parasitär

09. Oktober 2020

Engels neu denken: „Unternehmertum und gemeinschaftsorientiertes Wirtschaften“ – Spezial 10/20

Dass Friedrich Engels zeitgemäß sei, ist schnell gesagt, gerade im Engelsjahr. Doch wie macht man ernst damit? Eine „Gütergemeinschaft“ hatte der Denker halb gefordert, halb prophezeit. Einen Ansatz, das zu leben, erproben moderne Genossenschaften. Im Cronenberger „Knipex“-Werk begab sich eine Ausgabe der Gesprächsreihe „Engels neu denken“ pointiert an derlei Aktualisierung.

Nicht erst Prof. Reinhard Pfriem sollte die Vorstellung vom großen Fortschritt gegenüber früher dämpfen: „Wir sind nicht so viel weiter.“ Ambivalenz klang davor schon bei Knipex-Chef Ralf Putsch an, der neben der Gastgeberrolle auch den historischen Abriss übernahm. Auf Basis seiner Erfahrung im väterlichen Betrieb in Manchester hatte Engels „Die Lage der arbeitenden Klasse“ beschrieben, mit viel Kritik an Folgen der Entfremdung und laut Referent auch „schwarz-weiß“ – aber eben (anders als Marx): empirisch. „Engels war sehr nah dran an den Themen.“ Nicht nur am abfälligen Urteil über vermeintlich verkommenen Unternehmern nahm der Chef des „Zangenweltmeisters“ Knipex zwar Anstoß. Doch schnell wurde klar: Ganz beliebig war der etwas entlegene Vortragsort fürs Thema nicht. Putsch: „Wir müssen anerkennen, dass der Markt nicht alles regeln kann.“ „Ethische Mitverantwortung“ erwarten für ihn auch Kunden und Mitarbeiter, und spätestens auf Nachfrage des pfiffigen Moderators Lutz Becker stellte er auch klar: Nicht alles geht freiwillig.

Richtung Genossenschaft ging es dann im Beitrag Pfriems. Im Jubiläumsband „Arbeiten am Widerspruch“ ist er präsent mit dem Aufsatz „Die Entwicklung der besseren Gesellschaft von der Wissenschaft zur Utopie“ – und an diesem Abend mit prägnanten Tönen. Umrisse des Unternehmertums in Engels' Tagen zeichnete er dabei als Folie, um damalige Prinzipien dem Heute entgegen zu halten. Zentralistische Organisation zählte er ebenso dazu wie eine dichotomische Aufgabenteilung zwischen Entscheiden und Ausführen. Manches habe sich seitdem geändert, doch, so Pfriem (kaum verwunderlich bei besagter Fortschrittsskepsis): „Nicht immer zum Guten.“ Neu sei nicht zuletzt die heutige Dominanz der Finanzherrschaft, in deren Aburteilung es an Deutlichkeit nicht fehlte: Da unproduktiv, handele es sich hier um „eine parasitäre Klasse“. „Die kapitalistische Wirtschaftsgesellschaft muss durch anderes Wirtschaften überwunden werden.“ Ernst war das hinreichend – und wurde auch konkret mit Namen wie „EnGeno“: Von Genossenschaften für Genossenschaften war hier eine Software zur Mitgliederverwaltung entwickelt worden. Zu den Prinzipien solcher Betriebe, in Abgrenzung von den zuvor aufgezählten, zählen demnach „Selbstermächtigung“ oder auch „Engagement zur Gestaltung von Gemeinschaft“.

 Kollektivität als Lebensmodell

Genossenschaft zielt aber nicht nur ab aufs Gewicht der Mitarbeiter gegenüber der Geschäftsführung oder Anteile an dieser: Es ist zum Teil sogar Lebensmodell. Unter anderem dies vermittelte der Vortrag des Freiburgers Dr. Burghard Flieger, der schon Genossenschaften beraten hat. Da sollte im Publikumsteil auch ein Konzept wie die israelischen Kibbuzim kurz zur Sprache kommen, freilich auch kritisch zum Aspekt der dort kollektiven Kindererziehung: Da zuweilen doktrinär, habe dies dort Aufgewachsene schon bewogen, Abstand zu nehmen; in einen liberaleren Kibbuz komme man gern zurück. Im Vortrag selbst schienen die Modelle nicht ganz so existenziell, gingen aber doch übers Thema Gewichtsverteilung hinaus: Mit-Eigentümer einer Firma sein und zugleich Nutzer von deren Produkten war bei Flieger ein Aspekt der Produktivgenossenschaften, benannt mit „Identität“. Zudem ist der Nutzen für die Mitglieder demnach wesentlicher Zweck solch eines Betriebs. Kapitalverwertung dagegen nicht. Dass auch dieses Lebens- und Arbeitsmodell anspruchsvoll ist, war bei einem Beispiel wie „Grünspecht“ zu ahnen: Die 1984 gegründete Zimmerei baut nach Flieger heute mehrstöckige Holzhäuser und stellt klare Bedingungen: einen Pflichtanteil von 2.500 Euro etwa und dauerhafte Bindung. Nachwuchssorgen habe man nicht, doch, so Flieger: „Jeder Beitritt wird genau abgewogen.“

Klar: Derlei Modelle fußen auf Einzelentscheidungen; sie vereinen Menschen, die in speziellen Kollektiven ihren Platz sehen und sich entsprechend einbringen wollen. Dass es dagegen im Großen nicht ohne Zumutungen abgehen kann, ließ an diesem Abend vor allem Reinhard Pfriem keinen Zweifel. Er setzte auf Transformation hin zum Gemeinschaftlichen – und wer dazu nicht willens sei, dem drohe, so seine Hoffnung, der „Ruin“. Freiwilligkeit ist kein Fetisch, könnte man sagen – und vielleicht ist das eine Botschaft, die uns etwa auch in Klimafragen künftig öfters begegnen wird.

Martin Hagemeyer

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