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Die Schauspieler wuseln um einen theatralischen Turntable
Foto: Martin Kaufhold

Evolution durch Overkill

29. März 2018

Nils Voges und sputnic inszenieren „Metropolis“ in Essen – Auftritt 04/18

Ganz so weit, wie Fritz Lang es in seinem Zukunft-Opus „Metropolis“ angedacht hat, sind wir heute ja noch längst nicht gekommen. Wer käme schon auf die Idee einer Ausbeuterschicht oben und einem Heer von Eineuro-Jobbern da unten? Na also, und erst die Roboter. O.k., Maschinen haben die USA-Wahl beeinflusst, Maschinen töten Menschen mithilfe von klitzekleinen Flugkörpern, aber Maschinenmenschen, Cyborgs? Das sind doch Kindermärchen. Und sie sind uralt. Die Hälfe des filmischen Librettos haben Thea von Harbou und Fitz Lang doch bereits bei H.G. Wells „Zeitmaschine“ (1895) abgekupfert. Eloi und Morlocks, das System von Ausbeutung durch Maschinen war 1927 bereits Jahrzehnte alt.

Jetzt haben sputnic, das Kollektiv von Medienkünstlern um den ehemaligen Filmvorführer Nils Voges, sich des gar nicht so uralten Stoffes angenommen. Im Essener Kleinen Haus Casa produzieren sie wieder ein sogenanntes Live Animation Cinema, ohne Popcorn und Eiswaffeln, aber mit viel Digitaltechnik und analogen Overhead-Projektoren. Der Sound kommt vom blinkenden Modular-Synthesizer, die Schauspieler wuseln um einen theatralischen Turntable, während hinter ihnen die Scherenschnitte als Film durch Metropolis wüten. Leicht scheint das nicht, die Routine hat sich bei der Premiere noch nicht eingespielt, zwischen blitzartigem Folienwechsel und Filmschnitt per Handschalter sind auch Dialoge und die Handkameras im ständigen Wechsel, die Choreografie nicht zu vergessen, die alle über die Bühne hetzen lässt. Live Animation Cinema, das ist ein eigenes Bühnen-Format geworden, die Zuschauer, die es zum ersten Mal sehen, sind zu beneiden. Nach Michel Houellebecqs „Die Möglichkeit einer Insel“ und Stanislaw Lems „Der futurologische Kongress" im Dortmunder Schauspielhaus ist „Metropolis“ nun die dritte Zukunftsvision, die Voges im Ruhrgebiet realisiert. Der ewige Konflikt zwischen Mensch und Maschine wird so zum Motor einer Inszenierung, die genau das selbst mit Schauspielern zelebriert. Die dystopischen Realitäten in allen drei Stücken führen eigentlich ins Nichts. Mittler zwischen Herz und Hand sind in der Fritz-Lang-Adaption vielleicht letzten Endes die herbeizitierten Borg. Jedenfalls macht das Live Animation Cinema Science-Fiction-Szenerien im Theater erst möglich.

Wie immer geht es um genialen Erfindergeist und seine fatalen Folgen. Rotwang (Alexey Ekimov) hat sich einen weiblichen Roboter gebaut, Futura (Kerstin Pohle) erinnert ihn an seinen Schwarm Hel, die aber Joh Fredersen (Sven Seeburg) vorgezogen hat und bei der Geburt von Sohn Freder (auch Alexey Ekimov) gestorben ist. Als das System Ausbeutung durch die junge Maria (Aless Wiesemann) ins Wanken gerät, soll Rotwang mit dem Cyborg (Zitat: „Wer ist sie, sie ist wunderschön“) die alte Ordnung retten, was im Desaster endet, auch weil die Isaac Asimovschen Roboterregeln hier ausgehebelt sind – die stammen erst aus 1942 und waren Thea von Harbou natürlich unbekannt. Voges belebt den Geist in der Maschine also neu. Das Zelluloid verbindet die Projektoren, Alexey Ekimov als Filmvorführer macht das Intro, Sven Seeburg als Fritz Lang wird verzweifeln, doch Kerstin Pohle als Futura gewinnen. Der Transhumanismus erreicht die nächste Evolutionsstufe. Eine furiose Choreografie durch den Raum macht das alles möglich, die Lampen der Projektoren füllen die Wände mit zweidimensionalen Figuren, Neonlicht, schimmerndem Neonlicht, die Augen können sich oft nicht zwischen Realität und Fiktion entscheiden, und manchmal bleiben sie auch einfach am leuchtenden Equipment hängen.  

Irgendwann erreicht einen dann auch die Sozialkritik. Fritz Lang stoppt die Szenerie und prüft die Filmrollen: „Das ist nicht mehr mein Film.“ Das Hirn-, Herz-, Hand-Modell im Drehbuch seiner Ex-Lebensgefährtin Harbou nervt ihn zusehend. Film ist Kunst und keine Duselei. Dass sich der Frauenanteil in der Hollywood-Filmindustrie schnell marginalisierte, als viel Geld ins Spiel kam, nun, auch das lernen die Zuschauer nebenbei, bevor Nebel die Szenerie wieder nach Metropolis beamt, wo der Untergang musikalisch eingeleitet wird: Die Weltuntergangsmaschine nimmt ihre Arbeit auf. Alle biologischen und technologischen Besonderheiten werden ihr hinzugefügt. Widerstand ist zwecklos. Ein schönes Stück Utopie.

„Metropolis“ | R: sputnic | Sa 7.4., Fr 4.5. 19.30 Uhr | Grillo-Theater, Essen | 0201 812 22 00

PETER ORTMANN

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