Poseidon ist nicht nur der freundliche Bartträger mit Dreizack, Zeus’ Bruder und Gott des Meeres. Er ist durchaus prätentiös und launenhaft. Während er Agamemnon, Krieger I, den zum Segeln notwendigen Wind verwehrt, schickt er Idomeneo, ebenfalls einer der Männer, der zehn Jahre zuvor in den Krieg gegen Troja aufgebrochen ist, einen solchen Sturm, dass der Heimathafen unerreichbar wird. In der Not verspricht Idomeneo, das erste Wesen, dem er an Land begegnet, dem Gott zu opfern. Es ist Idamante, sein eigener Sohn. „Der Zuschauer weiß also alles, die Kreter nichts. Wir werden daher Zeugen der hilflosen und verzweifelten Versuche Idomeneos, sich aus dieser Zwangslage, seinen Sohn töten zu müssen, zu befreien“, erklärt Johannes Blum, in Constanze Kreuschs Inszenierung für die Dramaturgie verantwortlich. „Und wir wissen, dass es ihm nicht gelingen wird. Wir beobachten, wie die Informationspolitik, die den Mächtigen nur zu oft zur Vertuschung dient, Lücken und Risse bekommt. Und wie sein Sohn, als Idomeneo mit dem Rücken zur Wand steht und alles zugeben muss, sich für ihn opfern möchte.“ Doch Ilia, trojanische Prinzessin und Kriegsgefangene, ursprünglich Feindin, aber längst in Idamante verliebt, kommt ihm zuvor. Dieses Zeichen nimmt der verzeihende Gott an. Er entscheidet: Idamante wird König, Idomeneo muss abdanken. Es gibt ein Happy end.
Erzählt wird eine geradezu beispielhaft tragische Geschichte. Idomeneo, der Berufspolitiker und Militär, trifft auf zivile Strukturen, die sich in seiner Abwesenheit entwickelt haben. Seine machtpolitische Methode, Probleme zu lösen, funktioniert nicht mehr. Das drohende Opfer seines Sohnes, das er selbst herbeiführen muss, kann auch als traumatischer Komplex eines Kriegers gelesen werden, der nach zermürbenden Kriegsjahren ziviles Verhalten verlernt hat, führt Johannes Blum aus. „Idomeneo“ ist auch eine Geschichte der Ablösung der alten Götter – denen die Menschen nur als Spielfiguren auf dem Feld ihrer Grausamkeiten und Streitigkeiten untereinander dienen – durch christlich geprägte Lehren, die den humanen, vernunftbegabten Menschen an die Spitze von Staaten und Gemeinwesen sehen möchten.
Götter als Spiegelbild der Menschen
„Grund genug für die Entscheidung für Idomeneo ist die herausragende Musik Mozarts – es war seine Lieblingsoper und er hat wohl nie eine ebenso geniale Musik geschrieben – und seine musikdramatische Erfindungskraft.“ Mozart hat die starre Form der opera seria, die zu diesem historischen Zeitpunkt bereits ein Auslaufmodell war, kompositorisch unterlaufen und damit viel reichere, widersprüchlichere und psychologisch genauestens beschriebene Figuren komponiert.
Wer nun bei „Idomeneo“ an die Inszenierung Hans Neuenfels’ 2006 in Berlin denkt, erinnert sich wohlmöglich auch an den Aufruhr, den diese Interpretation hervorrief. Aber das Ideal eines religionsbefreiten, sich vollkommen frei definierenden Menschen, wie das Neuenfels gesehen hat, ist nicht Kern des Wuppertaler „Idomeneo“. „Das Spiel der Möglichkeiten – wo kann ein Mensch anders handeln, welches sind die Bedingungen dafür und welcher Preis ist zu entrichten – ist wichtig. Denn Tragödie bedeutet eben nicht, dass das Schicksal und die Vorherbestimmung alles vorzeichnet. Das Tragische ist ja, dass trotz gegebener Möglichkeiten der Mensch sich in sein Unglück begibt. Da liegt eben auch das, was wir hoffen, als Sichtweise dem Zuschauer anbieten zu können.“
Kaltes klares Wasser
Wichtig ist der Inszenierung das Herausarbeiten der psychologisch fein definierten und in der Komposition geborgenen Motivationsgeflechte der Figuren. Das ist dichter und reicher, als man zu Anfang glaubt. Dieses Herausarbeiten dient dazu, dem Zuschauer keine spätbarocke äußerliche, völlig fremde und entfernte Problematik von Menschen und Göttern zu erzählen. „Diese Zwangslagen sind sehr heutig.“ Ein Hauptaugenmerk liegt natürlich bei „Idomeneo“, der Choroper Mozarts schlechthin, auf dessen Funktionsweise, Aufgabe und Haltung. Und das Element Wasser wird eine große Rolle spielen. „Das Stück spielt in der Zeit seines Stoffes, seiner Entstehungszeit und heute. Die Geschichte wird gezeigt, indem sich eine Gruppe von Menschen entschließt, ein Spiel zu organisieren, das den ‚Idomeneo‘ zum Thema hat. Der Stoff wird ‚durchgespielt‘ und lotet die Widersprüchlichkeit der Figuren aus. Wichtig ist der ‚dramatische Motor‘, der die Figuren vorantreibt und die Beschleunigung, die jede tragische Geschichte erfährt, je länger die Handlung dauert.“
Idomeneo von W.A. Mozart
R: Constanze Krensch
16.4. (Premiere) 19.30 Uhr
Opernhaus Wuppertal
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