Schon in der DDR gehörte Henry Hübchen zu den bekanntesten und beliebtesten Schauspielern. Der 1947 im Berliner Stadtteil Charlottenburg geborene Star von Filmen wie „Jakob, der Lügner“ oder der Fontane-Adaption „Frau Jenny Treibel“ reüssierte nach der Wende unter Frank Castorfs Intendanz an der Volksbühne. Auch in Film und Fernsehen wurde er schnell ein gesamtdeutscher Star, nachdem er sich in „Sonnenallee“, „Lichter“ oder „Alles auf Zucker!“ als Kassenmagnet erwiesen hatte. Kürzlich mimte er in „Goethe!“ den Vater des bekannten Dichters, jetzt spielt er in „Polnische Ostern“ den Bäcker Werner Grabosch, der im Streit um das Sorgerecht für seine Enkelin eine Reise nach Polen unternimmt.
engels: Herr Hübchen, war es Ihrer Meinung nach von Vorteil, dass der Regisseur Jakob Ziemnicki sowohl polnische als auch deutsche Wurzeln hat, um solch ein Thema zu inszenieren?
Henry Hübchen: Na ja, ich denke mal, dass es immer von Vorteil ist, wenn jemand von dem erzählt, von dem er was versteht (lacht). Der Autor Wolfgang Kohlhaase, der jetzt gerade den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises erhalten hat, hat mal gesagt, er könnte nie einen Film schreiben, der in München spielt, weil er von München keine Ahnung hat.
Haben Sie eigene Erfahrungen mit Polen, die noch vor die Dreharbeiten zurückreichen?
Meine ehemalige Schwiegermutter war Polin und dadurch sind meine Ex-Frau und ich doch ab und zu Verwandte oder Bekannte besuchen gefahren, mal nach Posen oder nach Międzyzdroje. Irgendwie war das für mich immer ganz angenehm, weil die Polen sehr gastfreundlich waren und gut kochen konnten (lacht). In den späten 60er Jahren habe ich auch als Jugendlicher nach Polen geguckt, weil es dort doch weltoffener zuging als in der DDR. Ich weiß noch, dass wir, bloß um uns Filme anzusehen, nach Warschau gefahren sind. Dort habe ich zum ersten Mal „Blow Up“ von Antonioni gesehen, der war damals gerade neu und den zu sehen, war in der DDR eben nicht möglich. Eine gewisse Modernität und der Charme der polnischen Frauen spielten in diesem Alter für mich aber auch eine große Rolle, ebenso der polnische Film mit Andrzej Wajda oder das „arme Theater“ des Jerzy Grotowski. Und wer wie ich in Berlin groß geworden ist, hat ohnehin schon geografisch eine große Nähe zu Polen. Später bin ich oft an die polnische Ostseeküste gefahren, um zu surfen. In der DDR war das wegen der hypertroph bewachten Grenze nicht möglich.
Ihre Filmfigur Werner Grabosch ist Bäcker. Was wären Ihre beruflichen Alternativen gewesen, wenn Sie nicht Schauspieler geworden wären?
Auf keinen Fall Bäcker, das wäre ich im Leben nicht geworden, weil man ja als Bäcker extrem früh aufstehen muss!
Ich dachte eher in Richtung Ihres Physikstudiums – das Sie vielleicht in dieser Richtung weitergegangen wären …
Nein, das Physikstudium sollte mir Allgemeinbildung verschaffen – dafür ist natürlich ein Physikstudium vollkommen ungeeignet. Das wusste ich aber damals nicht, als ich das begonnen habe. Ich wusste nicht konkret, was ich werden sollte. Ich wusste nur, dass ich irgendwie in diese Atmosphäre von Film, Bühne und Studios wollte. Vielleicht hätte ich auch Tontechniker oder Aufnahmeleiter werden können, keine Ahnung. Es schwemmt einen ja so durch Zufälligkeiten und Bekanntschaften durchs Leben – also mich jedenfalls.
In den Jahrzehnten haben Sie immer sehr erfolgreich zwischen Theater, Fernsehen und Kino gependelt. Haben Sie bei der Auswahl Ihrer Projekte bezüglich des Mediums Präferenzen?
Ich bin ja eigentlich Theaterschauspieler und habe massiv Theater gespielt bis vor zwei, drei Jahren. Das war meine Hauptbeschäftigung. Nebenbei habe ich Fernsehen und Kinofilme gemacht. Jetzt ist meine Präferenz, nur noch Fernsehen und Film zu machen, weil ich einen anderen Lebensrhythmus haben möchte, als er beim Theaterspielen vorgegeben ist. Deswegen habe ich das Theater vollkommen in den Hintergrund gerückt und mache da im Moment gar nichts, will das aber für die Zukunft nichts ausschließen. Vielleicht bekomme ich irgendwann mal wieder Lust, Theater zu spielen.
Abgedreht haben Sie mittlerweile auch „Beate Uhse – Ich will Freiheit für die Liebe“ mit Franka Potente in der Hauptrolle. Was hat Sie speziell an diesem Stoff gereizt?
Der Stoff ist mir erst einmal egal, wichtig ist mir zunächst das Drehbuch. Hier war mir der Stoff nicht egal, und das Drehbuch war so, dass ich Lust hatte, mitzumachen. Die Hauptfigur der Beate Uhse finde ich sehr interessant, welchen Lebensweg sie gegangen ist, mit welcher Art von Kämpfertum und Unangepasstheit in diesen Nachkriegsjahren und den prüden 50ern und 60ern. Beim ersten Treffen empfand ich den Regisseur (Hansjörg Thurn, Anm. Red.) schon als sehr angenehm – auch später dann bei der Arbeit. Und auch meine Mitschauspieler waren hier ein zusätzlicher Anreiz für mich. Mehr braucht man eigentlich nicht und Geld gab es übrigens auch noch dafür.
Wie bekannt war Beate Uhse damals in der DDR, war sie da auch ein Begriff?
Ich glaube schon. Mich hat Beate Uhse als Handelsorganisation nicht interessiert, das interessiert mich heute auch nicht. Ich glaube, ich war noch nie in einem Beate-Uhse-Laden. Aber in dem Film wird eben über die frühe Beate Uhse geredet, die sehr aufklärerisch tätig war.
Hatten Sie zu DDR-Zeiten jemals überlegt, wie Ihre Kollegen Manfred Krug oder Armin Mueller-Stahl in den Westen zu gehen und dort Ihr Glück zu versuchen oder kam das für Sie gar nicht in Frage?
Nein, jedenfalls zu dem Zeitpunkt nicht, weil ich mit Arbeit und Leuten umgeben war, die mir ausreichten und genügten. Für mich war die DDR zu dem Zeitpunkt die Welt und hat mich total ausgefüllt, da musste ich nicht nach Düsseldorf, Hannover oder sonst wo hin. Ich war mit sehr interessanten Kollegen umgeben, von denen dann natürlich ein Teil wegging, aber eben nicht alle. Ein glücklicher Umstand war auch das Zusammentreffen mit Frank Castorf. Und Einschränkungen haben bei uns eher den Widerspruch hervorgerufen und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Querelen mit der Macht waren ja auch Ritterschläge.
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