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Brenda Boykin
Foto: Jan Turek

„Ich bin Wahlwuppertalerin aus Kalifornien“

11. Dezember 2020

Jazz- und Blues-Sängerin Brenda Boykin über ihre Musik und die US-Politik – Interview 12/20

engels: Hallo Brenda, was kannst du über deine Heimat sagen?

Brenda Boykin: Ich komme aus der Barbary Coast, der Bay-Area in Kalifornien. Ich wurde in Oakland geboren. Oakland ist eine unterschätzte Stadt im Schatten von San Francisco. Die beiden Städte stehen zueinander wie Wuppertal und Düsseldorf: Oakland ist ungefähr so groß wie Wuppertal und hat diesen Arbeiter-Ruf, verglichen mit der eleganten Schwesterstadt. Aber – wie in Wuppertal – leben in Oakland viele Künstler, weil es dort günstiger ist. Es gibt viele afroamerikanische protestantische Kirchen und viel Gospel-Musik. Der erste weltweite Gospel-Hit „Oh Happy Day“ wurde von einem Chor aus Oakland veröffentlicht. In der Barbary-Coast gibt es auch viele Einflüsse von Latin-Jazz und Musik aus Louisiana: Zydeco-, Creole- und Cajun-Musik. Oakland ist ebenfalls sehr bekannt für Funk. Sheila E., die mit Prince gespielt hat, kommt aus Oakland. Auch Creedence Clearwater Revival kommen aus der Gegend.

Wie bist du zur Musik gekommen?

Ich war als Jugendliche drei Jahre lang im Kirchenchor. Schon nach drei Monaten durfte ich mein erstes Solo singen. Dann war ich an der University of California in Berkeley, habe aber nicht wirklich studiert. Es gab dort eine Jazz-Band mit Chor. Dafür habe ich vorgesungen: „God bless the child“ von Billie Holiday. Während des Singens wurde ich gleich wieder unterbrochen. Der Chorleiter sagte: „Wir haben unsere neue Solistin gefunden.“ Jazz war mein Ding. Ich habe mir dann auch autodidaktisch beigebracht, zu arrangieren und dann auch die Partituren für die Bandleiter geschrieben. Ich war fünf Jahre auf der Universität und habe mich nur der Musik gewidmet. Berkeley war total anders als Oakland und interessant für mich: Buchhandlungen, Programmkinos. Es war wie eine kulturelle Ausbildung.

Wie verlief deine Karriere nach dieser Ausbildung?

Ich war Opening-Act bei Festivals mit Blues- und Jazz-Bands. Das war außergewöhnlich, denn meistens konzentriert man sich auf Blues oder Jazz. Ich war kein Star. Aber ich war eingeladen und es war immer eine Ehre, da zu sein. Man sieht die Stars als Kollegen und kann mit ihnen sprechen. Ich habe Dr. John „Hallo“ gesagt. Auch John Lee Hooker, Bonnie Raitt, Charles Brown und Tony Williams habe ich kennengelernt. Befreundet war ich mit Shirley Horn, einer der besten Jazz-Pianistinnen. Sie war wie eine Patentante für mich.

Seit 2004 lebst du in Deutschland. Wie kam es dazu?

2001 habe ich in Freiburg beim Zelt-Musik-Festival gesungen. Dort habe ich Ulrich Rasch und Hendrik Gosmann aus Wuppertal kennengelernt. Mit denen bin ich dann zwischen 2002 und 2004 mehrfach in NRW auf Tour gewesen und habe währenddessen in Wuppertal gewohnt. Ich hatte also schon ein Bild davon, wie Wuppertal ist. Ich habe auch immer mehr Kollegen kennengelernt und immer mehr Deutsch gelernt. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, immer mit Gepäck zwischen Oakland und Wuppertal hin und her zu reisen. Außerdem war ich unzufrieden mit meinem Leben in Amerika, hatte eine Middle-Age-Crisis. Rückblickend war es mutig, mit 47 so einen Lebenswechsel zu machen. Aber es war eine gute Entscheidung.

Wie gefällt es dir in Wuppertal?

Wuppertal ist mir fast sofort ans Herz gewachsen. Ich habe gesehen, was viele Wuppertaler nicht sehen: Es ist eine Künstlerstadt. Es gibt das Symphonieorchester, Pina Bausch, das Von Der Heydt Museum, viele Schauspieler, Ateliers und viele interessante Orte wie das Café Ada oder Swané. Und die Leute können sich die Mieten hier leisten. Horst Wegener zum Beispiel ist stolzer Wuppertaler und versucht, die künstlerische Zukunft hier aufzubauen. Und er ist nicht der einzige. Es gibt hier eine Liebe für die Kultur. Die Leute haben einen Wuppertaler Stolz. Ich bin Wahlwuppertalerin aus Kalifornien. Ich bin hier zufrieden. Ich finde auch, dass der neue Hauptbahnhof toll geworden ist. Der alte Hauptbahnhof hat mich immer gestört, weil er den Leuten ein falsches Bild von Wuppertal vermittelt hat. Warum sollte mich das kümmern? Aber es hat mich gekümmert. Ich fühlte mich Wuppertal zugehörig.

Du hast auch mit dem Club des Belugas Musik gemacht.

Genau. Nach der Arbeit mit Ulrich Rasch habe ich mit Martin Kratzenstein im Projekt Club des Belugas zusammengearbeitet. Er ist einer der besten Produzenten im Nu-Jazz. Das Label ChinChin Records, das er mit Jürgen Kausemann hat, ist weltbekannt in dieser Nische – und kommt aus Wuppertal. Ich fand die Arbeit mit Martin Kratzenstein sehr interessant. Ich war als Sängerin und als Texterin dabei. Aus dem Projekt wurde dann eine Live-Band. Von 2006 bis 2017 sind wir viel gereist. Und es war cool. Jetzt geht das Projekt ohne mich in eine andere Richtung. Aber das ist gut für mich. Ich möchte mich nicht wiederholen. Es war eine gute Zeit.

Woran arbeitest du heute?

Ich arbeite momentan am Projekt „Organic Blues“ von Jens Filser. Jens ist ein super Gitarrist und spielt authentischen Blues auf seine eigene Art. Mickey Neher am Schlagzeug und Dirk Schaadt an der Hammond-Orgel sind auch Teil des Projekts. Wir waren beim Deutschlandfunk für eine Live-Session eingeladen, die auch aufgezeichnet wurde. Auf Basis dieser Aufnahme haben wir angefangen, ein Album zu produzieren. Es ist jetzt fast fertig und wird in den nächsten Monaten auf Platte, CD und als Download erscheinen. Mit Jens, Dirk und dem Schlagzeuger Andy Pilger spiele ich auch seit mehr als vier Jahren regelmäßig in Duisburg, in einer Kneipe namens Steinbruch. Das ist immer ein reiner Jam, ohne Probe: Was kommt, das kommt. In der Färberei in Wuppertal spiele ich auch regelmäßig mit dem Pianisten Roman Babik. Da singe ich ungefähr die Hälfte nach Noten, unterbreche dann und frage „Are you ready for mistakes?Good mistakes that lead to interesting places.“ Und dann wird gejammt.Außerdem arbeite ich mit dem Pianisten Jan Luley zusammen. Mit ihm spiele ich mehr diesen Dr.-John-Stil: New-Orleans-Groovy-Funk.

Hat sich deine Musik verändert, seit du in Deutschland lebst?

Ich habe meine Mischung aus Jazz-Standards, selbstgeschriebenen Liedern, Blues und Funk. In Amerika war ich in Blues- oder Jazz-Bands. Das war getrennt. Bei Blues-Gigs wollten die Leute keinen Jazz. Die Jazz-Leute waren offener. Aber dann war es Jazz-Blues. Erst in Wuppertal, im Club des Belugas, hatte ich die Möglichkeit, die Genres zu vermischen. Es geht um den Groove.

Interessiert dich noch, was in den USA los ist?

Ja. Ich habe dort noch Familie, Freunde und Kollegen und ich informiere mich über CNN oder MSNBC über die Geschehnisse in Amerika. Ich vermeide Fox.

Welche Erfahrungen hast du in den USA mit Rassismus gemacht?

Ich habe mitbekommen, dass systemischer Rassismus ein großes Problem ist. Ein schwarzer Arzt, der sich ein Haus in einer neuen Nachbarschaft kauft, könnte dort Probleme bekommen und auf Widerstand stoßen. Viele Menschen befürchten nämlich, dass ihr Haus weniger wert wird, wenn ein Afroamerikaner ihr Nachbar wird. Da spielt es keine Rolle, wie gebildet er ist oder wieviel er verdient. Geld ist nicht gleich Geld. Und die Hautfarbe spielt eine Rolle. Ausnahmen sind nur Leute wie Beyoncé, Jay-Z oder LeBron James: Da ist man dann stolz, die als Nachbarn zu haben. Ich selbst habe aber fast keinen direkten Rassismus erlebt. Ich glaube, das liegt teilweise daran, dass ich kein afroamerikanischer Mann bin. Männer werden als bedrohlicher angesehen. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich nicht in einem Büro arbeite und darum keine Hierarchien erlebe. In der Musik mögen die Leute es nicht, wenn ich schief singe. Da spielt es keine Rolle, ob ich schwarz oder weiß bin. Ich habe auch meistens in gemischten Bands mit Weißen und Schwarzen gearbeitet. Im Jazz ist das nicht ungewöhnlich. Da gab es absolut keine Probleme. Die Musiker und auch die Jazz-Fans sind tendenziell liberal. Es ist wie eine liberale Bubble: ein Mikrokosmos, wo Rasse und Geschlecht keine Rolle spielen. In der Country-Musik könnte es anders sein: Da ist es eher konservativ. Meine Heimat, die Bay-Area, ist außerdem eine der liberalsten Ecken der USA. Doch sogar in der Bay-Area sind durch die Unterstützung von Trump viele Narren aus ihrem Versteck gekommen und zeigen sich. Der Hass kommt raus.

Wie hast du die Debatte über Polizeigewalt erlebt?

Die Fälle von Breonna Taylor und George Floyd haben mich schockiert. Breonna Taylor war Rettungssanitäterin, eine gute, vernünftige junge Dame. Sie war in ihrem Haus und hat geschlafen als plötzlich ihre Türe aufgebrochen wurde. Ihr Freund wollte seine Freundin und sich gegen die Einbrecher verteidigen, die sich als Polizisten herausstellten. Breonna Taylor wurde im Bett von acht Kugeln erschossen. Und ich habe mich gezwungen, das Video von der Tötung von George Floyd anzuschauen und ich war erschüttert – nicht als Afroamerikanerin, sondern als Mensch. Man hört öfter, dass bei Polizeikontrollen etwas passiert. Als ich aber gehört habe, wie viele Schwarze jedes Jahr von der Polizei getötet werden, fand ich das wirklich erstaunlich.

Was hältst du von den „Black Lives Matter“-Protesten?

Als die „Black Lives Matter“-Bewegung aufkam, dachte ich „gut so“. Natürlich: „All Lives Matter“. Aber eben auch Black Lives. Wir sind auch Menschen. Dann hieß es: „Blue Lives Matter“. Polizisten müssen sich gegenseitig vertrauen. Aber ein guter, ehrlicher Polizist hätte – im Fall von George Floyd – seinen Kollegen wegschieben müssen. Man ist Teil eines Teams. Aber wenn man sieht, dass ein Kollege jemanden tötet, muss man einschreiten.

Welche Rolle spielt Trump für die Spaltung der Gesellschaft?

Als Trump Präsident wurde, war das ein Schock für mich. Ich dachte „1933“. Er ist ein Rassist. Und er ist in einer rassistischen Familie aufgewachsen. Schon sein Vater musste eine Strafe zahlen, weil er sich geweigert hat, Wohnungen an Afroamerikaner zu vermieten. Im Fall der „Central Park Five“ hat Donald Trump in der Zeitung gefordert, dass für die beschuldigten afroamerikanischen Jugendlichen, die sich später als unschuldig herausstellten, die Todesstrafe in New York wieder eingeführt werden solle. Später unterstützte er die „Birther“-Bewegung, die daran zweifelt, dass Barack Obama in den USA geboren wurde und behauptet, dass dieser darum nicht rechtmäßig hätte Präsident werden dürfen. Trump ist Rassist. Nicht alle Republikaner sind Rassisten, aber es ist erstaunlich, dass so viele bei dem Trump-Kult mitmachen. Aus Angst. Wenn ein deutscher Jugendlicher im Geschichtsunterricht fragt, „Wie konnte das mit unseren Urgroßeltern passieren?“, können die Lehrer sagen „Es sind Menschen. Guckt mal, was gerade in Amerika passiert.“


Brenda Boykin, Foto: Jan Turek

Glaubst du, dass es durch die Wahl von Joe Biden jetzt besser wird?

Ich bin optimistisch. Die Menschen können aufatmen und wieder Hoffnung für die Zukunft ihrer Kinder haben. Ich glaube, dass es besser wird, weil Biden die Verbindung mit den Verbündeten wieder aufbauen möchte und er ein vernünftiger Gesprächspartner ist. Er könnte sich für Frauenrechte und Gleichberechtigung einsetzen. Biden ist ein kluger, anständiger Mann mit Prinzipien und einem Herz für Menschen. Die Leute finden ihn etwas langweilig. Aber langweilig und bodenständig ist gut. Ich vertraue ihm. Ich glaube, dass er vieles rückgängig machen kann, was Trump kaputt gemacht hat. Die Rassisten sind nicht weg. Doch man erkennt sie jetzt. Sie sind bewaffnet. Doch das waren sie immer. Als Afroamerikanerin habe ich von der Sklaverei über die Bürgerrechtsbewegung bis zu Obama einen langsamen aber stetigen Fortschritt gesehen. Die Probleme existieren noch. Aber es ging in eine richtige Richtung. Dann kam Trump, dieser Narr. Aber wir Menschen sind aufgewacht und haben uns gewehrt: Asiaten, Afroamerikaner, Native Americans, Latinos, Behinderte, die LGBT-Community, Frauenrechtler – Es gibt viele Leute, die jetzt wach sind. Biden ist ein Politiker der politischen Mitte. Aber in seiner Vizepräsidentin Kamala Harris finden auch die Progressiven ein Ohr. Und Biden hat gesagt, dass er nur eine Amtszeit lang regieren wird. Er ist wie eine Brücke und Kamala Harris ist gut platziert, um die erste weibliche Präsidentin zu werden. Sie ist eine moderne, gebildete Frau. Und sie wurde übrigens in Oakland geboren – im selben Krankenhaus wie ich und war an der Uni in Berkeley. Sie ist also auch eine Barbary-Coasterin.

Interview: Jan Turek

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