Vom Pussyterror zum Ödipuskomplex Anregende Gigs in Duisburg, oberhausen und Herne
Wer auf Nummer Sicher gehen will, tourt vor seiner offiziellen Pre- miere durch die Lande, testet die Publikumsreaktionen und feilt hin- terher an den Pointen, damit sie sitzen. Das ist nicht nur legitim, das ist auch sinnvoll. Einen hohen Aufmerksamkeitsfaktor erwirbt man sich überdies, indem man sein Gesicht beizeiten in Fernsehkameras hält. Genau das trifft auf Carolin Kebekus zu, deren Ruf als talentierte Nachwuchs-Komödiantin die Erwartungen in schwindelnde Höhen ge- schraubt hat. Die wollen erfüllt werden, oder der Daumen geht nach unten, ehe man sich‘s versieht.
Um eben diesem Desaster vorzubeugen, feiert die aus Köln-Ostheim kommende Kebekus am 21. Februar im Hundertmeister Duisburg ihre Vorpremiere: „Pussyterror“ heißt ihr erstes Solo-Programm, mit dem sie zeigen will, wo der feminine Hammer hängt. Singend, spielend und schreiend lotet sie ihre Herkunft aus, verwurzelt in einer städtischen Nahkampfzone, die fürs Leben stählt. Für nichts zu fein, auf alles vor- bereitet, was das prekariate Dasein an Herausforderungen mit sich bringt, lässt die Comedienne ihre verbalen Muskeln spielen. Man darf gespannt sein, was der Frau an der Seite des „Hasspredigers“ Serdar Somuncu so alles einfällt, um das Publikum aufzumischen.
Garantiert grandios ist – ebenfalls im Duisburger Hundertmeister – das bezaubernde Fräulein Cäsar alias Alexandra Gauger mit ihrem Programm „Atmen, Leute, atmen“ (am 2.2.). Hier steht eine Vollblut- Komödiantin auf der Bühne, die weiß, welch seltsamen Haken das Leben schlagen kann, und wie es sich anfühlt, auf einer Achterbahn ungebremst nach unten zu sausen. Dass sie sich überdies mit den ihr eigenen stimmlichen Mitteln für den Weltfrieden einsetzt und dabei schöne Erfolge erzielt, macht aus der begnadeten Sängerin schließlich ein Ganzkörper-Kunstwerk.
Dass man seinem Schicksal nicht entgehen kann, demonstriert der Kla- vierkabarettist Bodo Wartke mit seinem denkwürdigen „Ödipus“-Pro- jekt am 27.2. im Oberhausener Ebertbad. Nach der 104 Minuten dau- ernden Vorstellung ist der 1977 in Hamburg geborene und seit 1997 in Berlin lebende Mann derart fix und alle, dass er nicht einmal mehr Autogramme geben kann. Mit nur neun Requisiten – darunter eine Handpuppe, eine Sonnenbrille und eine Schirmmütze – holt Wartke den von Sophokles erschaffenen und in unzähligen deutschen Schul- stunden zerriebenen Unglücksvogel auf die Bühne. Und siehe da: Aus dem Mythos wird ein Mensch, der ganz im Hier und Jetzt lebt, einer, den man versteht, der sich wehrt und verliert. Wobei Wartke alle 14 Rollen des von ihm neu geschriebenen Stücks selbst spielt – sogar seine eigene Mutter Iokaste, die ihren Sohn mit Nachdruck fragt „Wat haste?“.
In den Flottmann-Hallen Herne wiederum tritt das Duo „Das Geld liegt auf der Fensterbank, Marie“ mit seinem ersten Programm na- mens „MitternachtSpaghetti“ auf (23.2.). Dahinter verbergen sich Wiebke Eymess und Friedolin Müller, ein Paar, das wie die meis- ten Newcomer starken Schwankungen unterlegen ist, aber an seinen besten Abenden mit ausgefeilter Streitkultur und herrlich schrägen Missverständnissen bezaubert. Das bisschen Risiko sollte man ein- fach mal eingehen – meint mit den besten Grüßen Ihre stets über Tage lebende
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
„Schauspielerfahrung schult perspektivisches Denken“
Schauspieler Thomas Ritzinger hat mit „Die letzte Nachtschicht“ einen Roman geschrieben – Interview 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24
Richtig durchgestartet
Der Wuppertaler Verein Insel – Porträt 05/24
Ethel Smyth und Arnold Schönberg verzahnt
„Erwartung / Der Wald“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 05/24
„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24
Auf die Melancholie die Liebe
Theatergruppe Bamboo inszeniert frei nach Georg Büchner – Bühne 04/24
Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24
„Es geht nicht mehr um den romantischen Naturort“
Manuel Schmitt inszeniert „Erwartung / Der Wald“ an der Oper Wuppertal – Premiere 04/24
Von der Liebe enttäuscht
Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ in Wuppertal – Auftritt 04/24
„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24
„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“
Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23
Knechtschaft und Ungerechtigkeit
„Cinderella“ im Opernhaus Wuppertal – Oper 12/23