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Lieber Engels!

30. Juni 2011

engels-zungen 07/11 - Karl Kautsky

St. Gilgen bei Salzburg, 3/7 90

Ich habe Dir lange nicht geschrieben, aber Anfangs passirte nichts, was das Schreiben gelohnt hätte, und als etwas passirte, was ich Dir gern geschrieben hätte, fand ich nicht die Zeit dazu. Nun, ich hoffe, Ede hat Dich darüber, nämlich über die Umwandlung der N[euen] Zeit, auf dem Laufenden gehalten. Ich war Anfangs nicht sehr erbaut davon, und zwar hauptsächlich aus persönlichen Gründen; denn die Umwandlung in ein Wochenblatt verkürzt die Zeit, die mir bisher zu theoretischen und anderen Nebenarbeiten zu Gebote stand, und erschwert mir das Reisen. Meinen Plan, nach London zu kommen, ehe ich mich in Stuttgart niederließ, kann ich nun nicht ausführen, da ich bereits im August nach Stuttgart muß. Hoffentlich kommt es im nächsten Frühjahr dazu.

Auf der anderen Seite sind es wieder persönliche Gründe, die mich mit der Umwandlung in ein Wochenblatt versöhnen; vor allem der Umstand, daß Ede hiedurch einen Posten erhält, auf dem er, so viel ich weiß, ohne pekuniäre Einbuße ebenso gut und für ihn befriedigend wirken kann, wie bisher. Mit Ede zusammenzuarbeiten, war schon lange mein Wunsch; ich denke, es wird für uns Beide von Vortheil sein.

Liebknecht war anfänglich die politische Wochenschau zugedacht; ich bin froh, daß es mir gelungen ist, Dietz davon abzubringen. Ich hatte genug an den Erfahrungen, die Ede mit dem Soldaten gemacht. Ich habe natürlich nichts dagegen, daß er für uns schreibt, aber nicht die politische Wochenschau, die doch den Anschauungen der Redaktion entsprechen soll, und die in der N.Z. mehr sein soll, als geistreiches Geschwafel.

Wie es mir diesmal in Stuttgart behagen wird, weiß ich nicht; gegen früher besteht der Vortheil, daß ich mich freier bewegen kann und daß ich mich mit Dietz vollkommen verstehe, der damals unter dem Einfluß von Geiser und Blos stand, was ewige Reibereien veranlaßte. Auch das Parteileben scheint jetzt besser zu sein.

Auf jeden Fall befindet sich die deutsche Sozialdemokratie heute in einem sehr interessanten Umwandlungs-Prozeß und es wird mir sehr nützlich sein, den in der Nähe anzusehen. Berlin wäre dazu freilich geeigneter als Stuttgart, aber man wird auch dort die richtige Parteiatmosphäre athmen.

[…]

Wie geht es Dir und den Deinen persönlich? Hoffentlich seid Ihr alle frisch und munter und ist auch Nimm ihre Bronchialbeschwerden losgeworden. Uns geht es hier famos. Beste Grüße von uns an Euch, namentlich unbekannter Weise von meiner Frau und mir. In alter Treue Dein

Baron [d.i. Karl Kautsky]

Karl Kautsky (1854-1938) war Herausgeber und Redakteur der sozialdemokratischen Theoriezeitschrift „Die Neue Zeit“, die im Verlag von Johann H. W. Dietz erschien. Nach Engels` Tod wurde Kautsky zum führenden Interpreten des Marxismus.

Kautsky und Eduard „Ede“ Bernstein arbeiteten in den 1890er Jahren eng zusammen. Beide verband eine jahrzehntelange Freundschaft. „Soldat“ war der Spitzname Wilhelm Liebknechts.

Quellenangabe: Friedrich Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky, hg. von Benedikt Kautsky, Wien 1955, S. 256-257.

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