An dem Schriftsteller Marc Sinan ist nicht nur ungewöhnlich, dass er auch Komponist ist. Bemerkenswert ist auch ein Autorenfoto, das ihn mit geschlossenen Augen zeigt – was man so deuten mag: Das Trauma meines Buchs ist auch mein eigenes.
Sinans Anfang des Jahres erschienener Debütroman „Gleißendes Licht“ erzählt vom Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Er folgt Figuren, die unterschiedlichen Generationen angehören, vor allem aber Kaan, dessen Großmutter damals zur Waise wurde. „Informationen über ein Trauma werden gerade an die Enkelgeneration intensiv weiter gegeben”, kommentierte beim Gespräch auf der Bühne der Autor. Sinan selbst hat deutsche, armenische und türkische Wurzeln, und an den eigenen Parallelen zum Buch ließ er keinen Zweifel. Der Enkel erkennt in den historischen Gräueln die Basis für eine eigene tiefe Prägung und Verletzung. Freilich: Kaan verkörpert auch Gewalt. Er schwankt zwischen Vergebung und Rache, und der Konflikt bricht gewalttätig auf, als er seine geliebte Frau vergewaltigt, die ihn daraufhin verlässt: „Ich schulde dir nichts. Alles Gute. Sisi.“ Sinan über Kaan: „Er ist einer, der ich hoffentlich nicht geworden bin. Aber hätte werden können.“
Perpektiven der Anderen
In einer der von Sinan vorgelesenen Stellen trifft Kaan in Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste auf ein Mädchen, das die Armenier für die wahren Aggressoren hält. In den Ruinen eines christlichen Klosters bringt sie Rache aus türkischer Sicht zur Sprache: „Wenn hier in der Gegend ein Unglück geschieht, kommen die Angehörigen und rächen sich mit Augenauskratzen.“ Mit den Augen taucht hier ein Motiv auf, das im Roman mehrfach wiederkehrt, bei Soldaten ebenso wie bei sterbenden Fischen. Nach einer Weile mag dem Zuhörer dann aufgehen, dass auch das besagte Autorenporträt hier anzuknüpft. Oder variiert das Augenmotiv Sinans oder Kaans Inneres – Verschlossenheit, Perspektivlosigkeit, Verdrängen?
Unversöhnte Ruhe
Zum Konzept von Literatur auf der Insel gehört, dass der Gast etwas „mitbringt“, das auf den Hauptteil folgt; gern ein filmischer oder musikalischer, jedenfalls ein persönlicher Beitrag. Zum Abschluss gehörte so die Bühne im Ada noch Sinan in seiner Rolle als Komponist, als still die Saiten schlagenden Musiker. Von Musik begleitet, allerdings vom Band, war schon Teil eins, zwischen Lesen und Gesprächen unter anderem vom armenischen Nationalkomponisten Komitas, der im Roman eine wichtige Rolle spielt. Rhythmisch, aber ruhig wirkten diese Klänge, womöglich entspannt – man hätte Versöhnung heraushören können, hätte Sinan diesen Eindruck nicht mit einem offenbar gezielten Stilmittel zumindest gebremst: So verfremdend mochte es jedenfalls anmuten, wenn die Sequenzen mit einem Quietschen ziemlich unsanft endeten, wie abgewürgt.
Wie mit Traumata umgehen? Im Gespräch mit den Gastgebern Torsten Krug und Uta Atzpodien zitierte der Schriftsteller seine eigene Tochter: Sie selbst gerate bei Trauer ins Weinen, doch „wenn du traurig bist, wirst du wütend.“ Und schließlich ein Satz, den Sinan vielleicht nicht zum ersten Mal sagte, der aber jede Wiederholung verdient: „Wut ist ein Ausdruck von Trauer, der den Weg in die Träne nicht findet.“
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