Orte einweihen, indem man darin schläft: Wer Freund solcher Ideen ist, wird die ersten Schritte des Vereins Insel e.V. schon dafür spannend finden. Die allerersten Schritte waren die Tage „Probewohnen“ nicht, denn „in Gründung“ war der Zusammenschluss aus den Reihen der freien Kulturszene in Wuppertal schon seit einigen Monaten. Doch nun konnte die Gründung auch mit Notarstermin rechtlich zum Abschluss gebracht werden. Und Unermüdliche breiteten im Obergeschoss des Café Ada tatsächlich ihre Matratzen aus.
Der Aspekt „Ort“ spielt dabei allem Eindruck nach eine wichtige Rolle. Zum Wesen und auch zum Zweischneidigen von „frei“ gehört ja zunächst das Ungebundene und womöglich Ungefestigte. Verortung kann nützen. Zum aktiven „Freien Netzwerk Kultur“ gibt es Berührungspunkte, auch personell; Leute von dort stehen nun auch hinter der „Insel“: Neben Torsten Krug, der zur Begrüßung sprach, sind das etwa Uta Atzpodien oder Zara Gayk. Erstere spricht von einem „Reallabor“ auch für das Netzwerk. Im Vordergrund stehen soll diese Verknüpfung in der Wiesenstraße aber wohl nicht. Freilich wird es für dieses auch eine reizvolle Perspektive sein, nun gewissermaßen auch mit einer Adresse materialisiert zu sein: Der Zusammenschluss von Künstlerinnen und Kulturaktiven ist verknüpft durch den regelmäßigen „Jour fixe“, bislang aber eben nicht durch einen Ort.
Dafür, dass das nun das Café Ada ist, ist seine Historie ein schöner Hintergrund: Die Adresse hat laut Krug schon manches gesehen und gehört: Im Verlauf der Jahrzehnte war sie Bandweberei, Moschee, Disco und mehr. Schlafzimmer war wohl noch nicht darunter; zu künstlerischem Geist passt es vielleicht, sich einem Raum auf solch unkonventionelle Art zu nähern. Birte Fritsch vom Verein bestätigt, dass der Bezug dadurch ein anderer wurde: zum Raum, also der Basis des künftigen Tuns, aber auch unter den Mitstreitern, mit denen zusammen man ja einschlief. Oder halt nicht, als einziger Wermutstropfen der Woche: „Das Schlafen klappte nicht so gut.“
Das Café Ada ist zudem schon lange fest mit dem Tanztheater verbunden; Pina Bausch selbst hatte es tatkräftig unterstützt, als die geliebte Kulturstätte einst in Gefahr war. Zur Institution wurde es über die Jahre etwa auch für Tangokurse wie auch Jazzsessions. Das Ada atmet schon sein schick-dunkles Interieur einen Hauch von Gewähltheit. Edel-erlesen ist nicht zuletzt eine Erfolgsreihe der letzten Reihe, das Format „Literatur auf der Insel“, das regelmäßig feuilletonbekannte SchriftstellerInnen des ganzen deutschsprachigen Raums in die Wiesenstraße zieht. So oder so: Ein Ort für die Kultur, und zwar nicht irgendeiner.
Erklärtes Ziel des Vereins ist aber auch die Quartiersarbeit. Das Ada soll im Insel-Kontext Treff- und Anlaufpunkt für die Menschen des Mirker Viertels sein. Zu dessen Situation gehören Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur. Dazu gab es Einblicke in einem Programmpunkt des Abends.
Ein Film aus Interviews also wurde gezeigt, den Zara Gayk mit heißer Nadel aus gerade erst entstandenen Aufnahmen zusammen gestellt hatte. Uta Atzpodien und Silvia Munzón Lopez hatten verschiedene hier Ansässige nach ihrem Bezug zum Viertel und zum Café befragt. Die Betreiberin des türkischen Imbiss' „Mentes“ erzählte, dass ihr Mann einst im Ada arbeitete. Die Friseurin kannte die Tangokurse, berichtete sie, während sie lustigerweise Torsten Krug die Haare schnitt. Auch einen Kioskmann und einen Blumenhändler zeigte der Film mit Kurzstatements.
Zur Art der demografischen Änderung gab es Unterschiedliches zu hören. Leonie Altendorf erinnerte, dass nicht zuletzt an die von ihr mitbetriebene „Hebebühne“ (Verein und Galerie in Ex-Tankstelle) den Wandel angestoßen habe. Zugleich sah sie die aktuelle Lage hier etwa für ärmere Kinder kritisch. So oder so stand im Raum der große Magnet, sicher auch Impulsgeber nicht nur der Gegend: „Utopiastadt“ im Mirker Bahnhof. Im Film wurde von dort die gute Nachbarschaft mit dem „Ada“ gelobt, doch mancher verbindet sie auch mit Gentrifizierung. Ohne diesen Zusammenhang herzustellen, beklagte ein Vertreter des Infocafés „Enough“ zum Viertel: „Die Mieten sind gestiegen, leider.“ Etwas anders lautete die nicht nur positive Einschätzung aus der „Alten Feuerwache“, Zentrale vieler sozialer Angebote, von wo im Film ein Zuzug vieler Armer über die Jahre konstatiert wurde. Alles in allem zeigte sich ein Quartier in Bewegung und sicher sinnvoll als „Insel“-Betätigungsfeld – neben und verbunden mit der Bedeutung für ortsfeste Kultur.
Darüber hinaus war der Abend weniger von Programm als von Gelegenheit zu Begegnung und der guten Ada-Küche geprägt. Ob auch das Matratzenlager eine Zukunft hat, ist nicht bekannt.
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