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Foto: Ralf Silberkuhl

Vom Winde getrieben

29. Januar 2020

Raoul Schrott bei „Literatur auf der Insel“ im Café Ada – Literatur 01/20

„Die Landschaft hier bei Ihnen produziert ganz erstaunliche Leute.“ Ein Satz aus der neuesten Ausgabe von „Literatur auf der Insel“ im Café Ada, der den Abend in mancherlei Hinsicht kennzeichnet: Einmal weil der Gast von Uta Atzpodien und Torsten Krug, der gefeierte Schriftsteller Raoul Schrott, von weiter auswärts kommt – er ist Österreicher. Dann aber auch weil in seinem aktuellen Roman ein erstaunlicher Aachener im Mittelpunkt steht, der zum Zitat den Anlass gibt. Für den Österreicher heißt das: von nebenan. Und schließlich: Dieser Ton eines plaudernden Erzählers durchzog im Ada die ganzen zwei Stunden.

„Eine Geschichte des Windes oder Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal“, lautet der komplette Titel des Romans und beweist: Raoul Schrott hat einen Hang, zumindest ein enges Verhältnis zum Epischen. „Episch“ wird ja heute fast synonym verwendet mit „lang“, und das passt so auch auf sein Oeuvre: Sein Werk „Tristan da Cunha“ etwa misst über siebenhundert Seiten. Doch mit der Übersetzung der Ilias steht sein Name auch wörtlich für ein konkretes Ur-Epos.

Weniger Homer wird nun für seinen Roman des Abends als Bezug genannt als vielmehr der „Simplicissimus“ des Barockmeisters Grimmelshausen und Cervantes' „Don Quixote“. Gewaltig die Bücher, gewaltig der Vergleich: Es geht um die Weltumseglung von Fernando Magellan, der für Spanien die heute indonesischen Gewürzinseln ansteuern sollte. Gelang das, würde die beispiellose Fahrt nebenbei beweisen, dass die Erde keine Scheibe war.

Geschildert ist alles aus der Sicht eines Mitreisenden, eines weniger bekannten: Der Kanonier Hannes hat bei Magellan angeheuert, ist also mit an Bord und erlebt auf der langen Fahrt vieles von Despotie bis Meuterei. Die Figur ähnelt einem barocken Narren – Schrott sagt: „Narren sind für mich die humansten Figuren.“ Er lobt „die Schönheit des Scheiterns, die Unvollkommenheit, das Fehlermachen“.

Schon aus den zwei Passagen seines Romans, den Schrott im voll besetzten „Ada“ liest, ist zu erahnen: Diese Reise ist voll von opulenten Episoden. Und verwenden wir nicht das Wort „barock“ fast synonym mit „opulent“? Da gibt es den Landgang, der nicht nur einen übertragenen Wert hat: „Zeit, den Fuß wieder auf den Boden zu bekommen.“ Es geht auch ins Nonnenkloster, einen „Jungfernzwinger“, wie Hannes es nennt. Der Besuch weckt bei ihm Erinnerungen an ein früheres Liebesabenteuer. Da gibt es den Zeitvertreib an Bord gegen die zersetzende Langeweile. Erfinderisch geht man an eine Art Wettkampf mit Läusen.

Doch fraglos macht dieser Autor sich auch einen Spaß mit dem Leser. So hat etwa die „Geschichte des Windes“ keine Seitenzahlen. Nummern haben immerhin die Kapitel: „Viele sind sehr kurz“, sagt Schrott wie zur Erklärung – zum Orientieren, meint er, muss das reichen. Auch entspreche das viel besser dem Thema des Buchs: Vom Wind getrieben zu sein, der „Ungewissheit des Reisenden“. Und überhaupt: Warum auch immer dieses herkömmliche Gliedern von Seite eins bis Ende? Dieses allzu servile: „In dreißig Seiten sind wir zu Hause“, sagt es der Autor beim Talk.

Einen Spaß, das ist zu erahnen, macht sich Schrott wohl aber auch mit der Wahrheit. Im Gespräch mit Atzpodien und Krug dominiert besagter Ton des plaudernden Erzählers, und das heißt auch, dass man am Faktengehalt manchmal leise zweifeln möchte. Dass das Wort „Karibik“ eine Verballhornung des Wortes „Karnibalen“ sei, klingt interessant und immerhin vorstellbar. Ob der Name „China“ wie „Sinologie“ von „sinus“ herrührt, einem gedachten Bogen zwischen Europa und dem Reich der Mitte? Vielleicht stimmt das. Womöglich auch sollte man googelnd den strengen Faktencheck leisten und nachprüfen, ob es in der antiken Mythologie wirklich die Göttin „Occasione“ gab. Sie steht demnach für die flüchtige Gelegenheit, die sich Dichter zunutze machten, wenn sie sie am „Haar festhielten“ – Schrott: „Ich habe sie immer für die Göttin der Poesie gehalten.“ Ein wenig klingt manches freilich wie eine falsche Antwort bei „Wer wird Millionär“, mit der die Quizredaktion allzu schlaue Kandidaten austrickst. Man möchte sagen: Falls es nicht stimmt, ist es doch gut erfunden. Vollends als Fantasie verbuchen dürfen wird man jedenfalls Schrotts sehr ernsthafte Auskunft: „Das Alphabet der Morongo kann man erst seit zehn Jahren entziffern.“ Damals nämlich seien Hannes' Aufzeichnungen gefunden worden; schreiben können habe der nicht, aber diktieren.

Das Moderatorenduo fragt sorgfältig, wenn es denn zu Wort kommt: „Wie übersetzt die Metaphorik das, was sich in Hannes bewegt?“ (Atzpodien) Krug klärt gleich zu Beginn, dass er den Gast nun erst kennenlernt, obwohl man schnell beim Du war. Unter Bezug auf ein Romanzitat schließt er: „Dann bist du ein ganzer Kosmos.“ Am Ende hat er Schrotts Erzählton so lieb gewonnen wie das Publikum: „Wir könnten dir noch stundenlang zuhören.“ Der Erzähler selbst hatte schon vorher gesagt: „Wenn ihr findet, dass das halbwegs wahrscheinlich ist, dann freut's mich.“

Martin Hagemeyer

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