Es muss etwas geschehen – genauer: Es muss etwas getan werden. Und wem das noch zu passiv klingt: Wir sind es, die etwas tun müssen. Entschlossenheit herrschte im Café Ada, wo die Bewegung Extinction Rebellion (XR) zu einem Vortragsabend geladen hatte; das „X“ steht für „Extinction“, die drohende Auslöschung der Lebensräume, „R“ für den Widerstand dagegen. Die Ortsgruppe Wuppertal ist im August im Obergeschoss des Ada gegründet worden. Nun traf man sich unten im Restaurantbereich. Hatte man mit so wenig Beteiligung gerechnet? Angesichts der bis zum Ende kaum zehn Besucher konnte man jedenfalls nur hoffen, dass der Zuspruch am nächsten Tag anders aussehen würde, wenn weltweit der Klimastreik anstand. Denn: Die Lage ist nicht nur ernst, sie ist bedrohlich.
Der erste Teil vermittelte prägnant diese Zustandsbeschreibung. Ihn bestritt Stefan Fock von XR Düsseldorf. Seine Ausführungen zum Weltklimarat (IPCC) verstärkten nur den Eindruck der Krise. Hatte diese maßgebliche Einrichtung doch demnach als notwendiges Ziel eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gefordert – doch die Regierungen einigten sich nur auf eine Limitierung auf unter zwei Grad. Zudem setzten Empfehlungen des Rates einen technischen Fortschritt voraus, der so noch nicht eingetreten ist. Nach Gründung des IPCC im Jahr 1988, so der mehr als ernüchternde Befund, ist der CO2-Gehalt noch einmal so stark gestiegen wie seit Beginn der Industrialisierung.
Norman Schumann aus Bochum referierte, was ungeachtet der Forderungen des IPCC geschehen ist. Kurz: Wichtiges geschah nicht, Verheerendes dagegen schon. „Es gab Flughafenausbauten, es gab Fracking.“ Gebot sei nun: „Wir müssen gegen Regeln verstoßen.“ Merkmale zivilen Ungehorsams kamen zur Aufzählung, darunter: gewaltfrei, auf Hauptstädte konzentrieren, andauernd. Letzteres wurde später konkreter: sodass es wirtschaftlich spürbar ist. Was es bedeute mitzumachen, gipfelte sogar in einem: „Es bedeutet, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.“ Ohne Angst vor Pathos – warum auch? Es ging und geht ja um viel. Vielleicht um alles.
Zum strukturierten Charakter des Abends gehörte die sorgsame Einrahmung. Zu Beginn kam vom Düsseldorfer Stefan Fock der Rat, bis zum Ende zu bleiben, schon, um nicht mit der niederschmetternden Diagnose nach Hause zu gehen. Den Schreckensszenarien ging eine Schilderung voraus, die einen geradezu harmonischen Ausgangszustand zeichnete. Ursprünglich, so Fock zum dramaturgisch wirksamen Einstieg, war die Lage gut: Die Menge der Treibhausgase reflektierte das Sonnenlicht im richtigen Maß und machte das Klima gerade lebensfreundlich. So hätte es bleiben mögen. Hätte, könnte, wäre. Was folgte, war trist.
Schon beim Vortrag mochte man zögern: Werden Regierungen, wird die Polizei nicht zum Problem werden? Nach Vortragsende kam denn auch entsprechender Zweifel von einer Zuhörerin, die an das massive Vorgehen der Sicherheitskräfte beim G8-Gipfel in Hamburg erinnerte: „Aus meiner Sicht schützt die Polizei die Mächtigen.“ Das blieb Thema in der Nachdiskussion. Der Bochumer Norman Schumann räumte das Risiko staatlicher Repression ein: „Wir sind nicht naiv.“ Ohne jedoch am Gesamtkonzept zu rütteln, die Gewaltlosigkeit inbegriffen: „Wir denken und hoffen, dass es funktioniert", so Fock.
Was genau denn geschehen soll, war an diesem Abend kaum Thema. Doch das musste es auch nicht. Denn ein praktisches Instrument ist im XR-Manifest gewissermaßen mitgedacht: Die drei Hauptforderungen umfassen neben der Erklärung des Notstands und der CO2-Reduktion (netto null bis 2025) eine „BürgerInnenversammlung“, die sich aus Menschen aus dem Volk zusammen setzen und mit fachlicher Beratung das Nötige angehen soll. Ein wenig wie im Kleinen zuletzt das Wuppertaler Bürgergutachten über ein Seilbahnprojekt? „Normale Leute“ mit flankierenden Experten waren jedenfalls auch dort das Konzept. Freilich: Von den Dimensionen geht es bei XR um ungleich mehr. Auch war der Seilbahnrat ja unverbindlich und gab nur eine Empfehlung. Die Klimarebellen dagegen zeigten sich im Ada sicher: Die Zeit des Empfehlens ist vorbei.
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