Was ist Europa? Na klar, Europa ist ein Kontinent. An den meisten Ecken und Enden ist Europa umgeben von Meer. Das macht die geographische Grenzziehung leicht. Nach Osten hin wird es etwas komplizierter. Da, wo ganz hohe Gebirgsketten den Weg versperren, beginnt Asien. Das zerfranste Gebilde im Westen der Eurasischen Insel ist also Europa. Weil die Erfinder der aktuellen Einteilung dieser Welt aus Europa stammen, genauer gesagt aus London, markiert dort der nullte Längengrad die Mitte der Welt. Irgendein Europäer beschloss zudem, dass Norden oben ist und Süden unten. Wäre also unsere Weltkarte ein Supermarktregal, so stünden die hochpreisigen Produkte in Europa, also oben in der Mitte.
Das trifft in etwa die Realität. Ökonomisch war Europa sicherlich in den letzten Jahrhunderten für diesen Planeten der dominante Faktor. Doch diese Vormachtstellung wurde mit Ende der Kolonialzeit infrage gestellt und schwindet zusehends. Auch politisch hoffen die Europäer weiterhin, der Nabel der Welt zu sein. Nur, so richtig klappt das nicht. Für manche Politiker war und ist aus diesem Grund die europäische Einigung so wichtig. Neben den USA, Russland und China soll Europa die Rolle eines Global Players spielen. Schaut man aber auf die sich oft sehr wiedersprechenden Interessen der verschiedenen Staaten der Europäischen Union, so ist man schnell ernüchtert. Die nationalen Regierungen haben weit mehr Gestaltungsmöglichkeiten als ein Ratspräsident oder ein Europaparlament. Das babylonische Sprachgewirr auf den Fluren der EU tut ein Übriges. Während die Supermächte mit jeweils einer Sprache sprechen, können die Politiker Europas oft nur mit Knopf im Ohr miteinander kommunizieren. Europa wurde nicht von einem erobernden Volk sprachlich homogenisiert, so wie dies in den USA, in Russland und China geschehen ist.
Doch dieser kulturelle Flickenteppich könnte auch als Chance wahrgenommen werden. Weil Europa so polyglott ist, könnte es doch als Übersetzungsbüro zwischen den sich wieder bildenden Blöcken fungieren. Die früheren Imperialmächte England, Frankreich, Spanien, sogar Österreich und aus der jüngsten Geschichte auch Deutschland könnten den neuen Weltmächten erklären, wie töricht das Streben nach Hegemonie ist. Denn ewig war die Macht dieser Mächte nie. Opa Europa erzählt den Enkeln aus seinem blutigen Leben. Natürlich sieht die Realität anders aus. Der wieder aufflammende Ost-West-Konflikt, den wir glaubten, hinter uns gelassen zu haben, liefert ein neues altes Feindbild. Truppen werden an die neue Ostgrenze des Westens verlegt. Einige Politiker fabulieren von dem Primat der Politik, als wäre eine militärische Lösung des Konflikts um die Krim überhaupt ein gangbarer Weg. Ein Krieg zwischen NATO und Russland würde das Ende aller Zivilisation bedeuten. Ein Europa, das vermittelt, ist also wichtiger denn je.
Auch das Binnenverhältnis zwischen den Staaten der Europäischen Union ist nicht immer harmonisch und von gegenseitigem Verständnis geprägt. Den Zuspruch, den überall europakritische Parteien erhalten, spricht eine deutliche Sprache. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat bei der letzten Bundestagswahl knapp den Einzug ins Parlament verpasst. Im Europaparlament werden die Europaskeptiker sehr wahrscheinlich ab Juni vertreten sein. Sie fahren die Ernte ein, die der politische Mainstream in den letzten Jahren säte. Politiker der großen Parteien warnen schon länger vor Armutsflüchtlingen, Kriminellen und Prostituierten aus Südosteuropa. Außerdem stellten sie die Rettungsschirme, die zu einem Teil vom deutschen Steuerzahler finanziert wurden, als törichte caritative Geste dar, nicht aber als das, was sie waren: Rettungsschirme für die deutschen Banken. Die europakritischen Parteien in anderen EU-Ländern wiederum schüren die Angst vor den dominanten Deutschen, die nach zwei verlorenen Weltkriegen nun das kriegen, was sie immer schon wollten, die Herrschaft über Europa. Dass nun ausgerechnet diese Parteien Seite an Seite neben der AfD im Parlament in Straßburg sitzen werden, ist fast schon wieder komisch.
Oft gerät in Vergessenheit, dass diese Europäische Union immense Chancen birgt. Nirgendwo sonst gibt es einen multilateralen Zusammenschluss, der so viele Entscheidungskompetenzen den nationalen Regierungen abluchsen konnte. Weder in Afrika, Amerika noch in Asien agieren ähnlich mächtige Zusammenschlüsse. In einer sich globalisierenden Welt werden transnationale Organisationen immer wichtiger. Gerade die international agierenden Märkte machen nationale Finanz-, Wirtschafts- und Steuerpolitik unwirksam. Wichtig ist natürlich, dass den Kommunen, Regionen und Nationen die Entscheidungskompetenz zugebilligt wird, die dort auch Sinn macht. Nicht alle Äpfel müssen in Wuppertal genau so aussehen wie in Neapel oder Oslo. Aber eine einheitliche Besteuerung von Vermögen und Gewinnen wäre ein erster Schritt, diesen Kontinent gerechter zu machen. Dafür braucht es auch ein starkes Europaparlament, das von möglichst vielen Bürgern der EU gewählt wird.
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