Hochbeliebt ist der Dichter Ernst Jandl, hat zahlreiche Preise bekommen und so viel geschrieben, dass man schon mal den Überblick verlieren darf. Dabei war er nie bloß Geschichtenerzähler, sondern beispielsweise so etwas wie ein Lautmaler, der Geräusche imitierend die Sprache auf links drehte. Vor allem erzählte er nicht in überkommender, tradierter Weise, sondern entwickelte eigene Strategien. Wäre es nach dem Wuppertaler Musiker und Jandl-Liebhaber Matthias Nahmmacher gegangen, hätte das zweite Jandl-Festival nach der Erstveranstaltung 2006 viel eher stattgefunden. Beispielsweise vor zwei Jahren, als ein runder Geburtstag (85) des im Sommer 2000 verstorbenen Dichters und Sprachakrobaten anstand. „Das wäre schon toll gewesen“, sagt der sonorfeo-Flötist. Zumal es mit einem Veranstaltungsmarathon in anderen Städten dann die Verbindung Wien-Berlin-Wuppertal gegeben hätte.
Raus mit der Wahrheit!
Jetzt geht das zweite Jandl-Festival auf Lüntenbeck vom 22. bis 24.6. über die Bühne. „Jazz me, if you can“ lautet das Motto. Auch was die teilnehmenden Künstler angeht, ist das eine coole Mischung, findet der Chef-Organisator. Das Festival ist künstlerisches Experiment und Hoffnungszeichen für die Zukunft, das, wie so vieles im Sektor Kultur, von der Großzügigkeit einiger Sponsoren abhängt. Ohne die Unterstützung der Kulturstiftung NRW und den Landschaftsverband wäre vieles unmöglich gewesen, sagt Matthias Nahmmacher.
Die genresprengende Veranstaltung wird von der Stimm-Performerin Lauren Newton („wesentlich ist für mich, wie sich Musik durch die Freiheit der Improvisation verwirklichen kann“) am Freitag eröffnet. Mit „auf die särge klatscht die träne“ folgt dann das statt-theater Fassunglos, ehe das jandl_elktrio auftritt. „Wir kennen uns von einer Tournee durch Taiwan“, beschreibt Matthias Nahmmacher seine Bekanntschaft mit dem Ambient-Techno-Ensemble. „Die machen durchgedrehte Sachen, das ist toll.“
Entgiftung durch mitreißenden Humor
Mehr manisch Kreative gibt es am Samstag, der quasi ein österreichischer Abend wird. Dieter Glawischnig plus seine U.F.O.-Musiker spielen einige Uraufführungen, die Solo-Performance von Jazzer Christian Muthspiel ist so etwas „wie ein Spaziergang durch einen Klangzoo, da werden schöne Elektro-Loops dabei sein“. Mit von der Partie ist auch der als poetischer Kabarettist bekannte Erwin Grosche, der als „Platzanweiser und Fels in der Brandung“ die unterschiedlichen Künstler anmoderiert und Umbaupausen mit gezielten Verwirrungen mehr als bloß überbrücken möchte. Und nicht nur die Großen, Etablierten wie sonorfeo sind sonntags am Start. Dem Festival ist ein Jandl-Wettbewerb vorausgegangen. 300 Einsendungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz präsentierten sich mit ihren lyrischen Ideen auf Jandls Spuren, die Bestplatzierten sollen nun am Sonntag präsentiert werden. Auch das verspricht, spannend zu werden.
Denn Jandl ist eine Zelebrität aus einer anderen Welt, kein Kunstmönch der strengen Sorte oder Hohepriester. Der Österreicher war ein großartiger Sprachakrobat und exzentrischer Poet, dessen Texte funkensprühende Gedankenschärfe und mitunter monströse Wahrhaftigkeit auszeichnen. Formuliert mit oft uneitlem Eigensinn, direkt und unbestechlich, sind sie von so etwas wie zeitloser Größe. Das Festival Tohuwabohu ist durchaus als Hommage an ihn zu verstehen.
Tohuwabohu – Jandl-Festival I 24.-26.6. I Schloss Lüntenbeck, Wuppertal I www.tohu-wa-bohu.de
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