engels: Lina, woher nimmst du überhaupt noch die Kraft, Interviews zu geben? Eure Texte und die Bandbiografie erzählen schließlich die Geschichte einer großen Desillusionierung alter Ideale sowie der Unmöglichkeit, ein richtiges Leben im Falschen zu führen.
Lina Holzrichter: Oh, da geht es aber ohne Umschweife zur Sache. (lacht) Lass es mich so sagen: Aus dem Musikmachen und Schreiben ziehe ich sehr viel Kraft. Ich bin auch weiterhin ein Mensch mit vielen Idealen und versuche, sie für mich persönlich zu leben.
Zum Beispiel?
Ich studiere soziale Arbeit und bin seit langer Zeit Veganerin. Der Unterschied zu früher besteht nicht darin, wie ich lebe, sondern dass ich nicht mehr so stark im Missionierungsmodus unterwegs bin. Der Elan aus Teenager-Tagen lässt naturgemäß nach. Mit 14 Jahren war ich davon überzeugt, dass sich alle meine Mitmenschen für die Themen, die ich ihnen auf den Tisch legte, interessieren müssen. Das konnte ja gar nicht anders sein. Vor allem, wenn sie die Wahrheit erkennen. Du musst nur einmal mit ihnen sprechen und es läuft.
Das funktioniert einwandfrei. Alle Menschen sind reine Vernunftwesen.
Genau. Im Ernst: Es gibt natürlich jede Menge Rückschläge. Du stehst im Winter vier Stunden in der Fußgängerzone und verteilst Flugblätter und die einzigen, die mit dir reden möchten, sind jene, die dir erklären, wie dumm es ist, was du da gerade machst. Dazu kommen die regelmäßigen Kommentare von wegen: „Wie, du isst kein Fleisch?“
Gefolgt von: „Aber Wurst isst du schon, oder?“
Exakt! Und man denkt immer wieder, dass es doch mittlerweile bekannt sein müsste, wie das Geschäft läuft und wie es den Tieren geht. Dass jeder wenigstens akzeptiert hätte, Fleischkonsum falsch zu finden, aber dem ist natürlich nicht so.
Aus der Kommunikationspsychologie wissen wir, dass die Überzeugungskraft einer Aussage nur zu einem Bruchteil vom Inhalt abhängt. Die Form entscheidet. Auf die Musik übertragen entspricht das alte Flugblattverteilen dem einfachen Protestlied. Mit Lyschko spielt ihr allerdings einen anspruchsvollen, herausfordernden Sound und nicht bloß die Klangtapete für eine Message.
Den schlichten Weg sind wir früher gegangen, als die Band noch Cuckoo hieß. Da gab es zuletzt einfachen Punk mit klarer Haltung und etwas Zeigefinger, aber aus diesem Format sind wir alle herausgewachsen. Wir hören längst viel zu viel verschiedene Musik und es bleibt nicht aus, dass man mit der Zeit am Instrument besser wird. Außerdem habe ich mich viel mit Literatur befasst und damit, was sich mit der deutschen Sprache alles anstellen lässt. Bei Cuckoo habe ich auf Englisch gesungen, aber gerade die Sperrigkeit des Deutschen hat einen großen Reiz.
Da ich überall meinen Senf dazu geben muss, habe ich bei YouTube die Live-Aufnahme eures Liedes „Ideale“ mit den Worten kommentiert: „Die Distanziertheit von Shellac mit der Wärme des Postrock.“ Trifft es das?
Shellac finden wir alle tierisch geil. Gerade für unseren Bassisten ist diese Band von Produzent Steve Albini klangtechnisch ein heiliger Gral. Darüber hinaus sind die Achtziger wichtig für uns, vor allem die New Wave in England, aber auch in Westberlin mit Malaria! oder Ideal. Allein, welche Gefühle ein einzelnes Riff bei The Cure auslösen kann.
Diese Gefühlsbetonung ist interessant, denn diese Mischung aus Wave, Postpunk und ein wenig mathematischer Verschachtelung, die ihr spielt, wird von linksintellektuellen Poptheoretikern gerne sehr kopflastig favorisiert. Im Grunde als Vertonung der Suche nach Verweigerung der Warenlogik und des Formatierten im Geiste der Kritischen Theorie. Habt ihr auch solche Wurzeln?
Ich habe mich eher mit dem Anarchisten, Aktivisten und Schriftsteller Erich Mühsam beschäftigt und mit der feministischen Philosophie von Simone de Beauvoir. Bei Adorno & Co. bin ich weniger firm.
Gut, sagen wir es so: Eure Musik ist die Antithese zur muskulösen Motivationsliteratur und eher ein klangliches Suhrkamp-Bändchen.
(lacht) Das auf jeden Fall.
In anderen Gesprächen habt ihr eure Heimatstadt Solingen recht hart gedisst, während an dieser Stelle etwa der Rockproduzent Carsten Steffens sehr warmherzig davon sprach.
Wir regen uns seit der Jugendzeit schon oft darüber auf, in Solingen zu sein. Es ist nichts los, es fehlt an Infrastruktur, die Züge existieren kaum oder wenn, dann fahren sie nicht.
Als treibende Kräfte des Vereins Waldmeister mit angeschlossenen Räumlichkeiten für Veranstaltungen tragt ihr doch selber dazu bei, dass Solingen auf der Landkarte alternativer Kultur eine Nummer geworden ist.
Wir sind ja auch geblieben und haben aus unserer Hassliebe zur Stadt etwas Konstruktives gemacht, anstatt nach Berlin oder Leipzig zu fliehen, um dort vorhandene Strukturen zu nutzen.
Die gute, alte Do-It-Yourself-Kultur von Indie-Musik oder Punk erwuchs ja seither aus der Not der Jugend in der Provinz oder in biederen Städten, in denen Veganer mit speziellem Musikgeschmack weder ordentliche Plattenhändler noch einen Imbiss ohne Fleisch vorfinden. Oder ohne Wurst.
Wenn du es haben willst – beschwere dich nicht, sondern stelle es selbst auf die Beine. Ganz genau. In Ermangelung cooler Clubs haben wir damals unseren eigenen Proberaum in einen Tanzsaal für unsere Freunde und uns verwandelt.
In eurer Protesthaltung seid ihr so qualitätsvoll, dass ihr vom System sogar einen Preis bekommen habt, den „Snake Award“, den Jugend.Kultur.Preis.NRW als bester Live-Act. Ist euch sowas wichtig?
Wichtig ist uns, nach zahlreichen Besetzungswechseln in der Vergangenheit und all den launenhaften Wechseln im Musikstil als Cuckoo, jetzt mit Lyschko endlich angekommen zu sein. So fühlt es sich jedenfalls an. Lukas an der Gitarre ist zum Beispiel eine große Bereicherung. Alle vier Mitglieder bringen sich endlich in gleichem Maße in den kreativen Prozess ein.
Im März steht eine EP-Veröffentlichung an. In welcher Form?
Das kleine, feine Hamburger Indie-Label La pochette surprise Records bringt das gute Stück als CD und digital heraus. Vinyl leider nicht, das können wir finanziell nicht stemmen.
Gerade weil ihr die Antithese zum „Tschaka!“-Motivationstrainer seid, stelle ich noch eine typische Motivationstrainer-Frage: Wo seht ihr euch in fünf Jahren?
Unterwegs durch die Clubs, gute Konzerte spielend,vor passendem Publikum, das sich auf uns einlässt. Das wäre schon genug.
Komm schon, keine geheimen Träume vom größeren Erfolg? Trotz aller Weltskepsis?
Zum Beispiel?
Ein 17-Uhr-Slot beim Hurricane, eines Tages. Oder eine Tournee als Vorband von The Cure?
Wow! Okay, letzteres … das wäre in der Tat ein Traum.
EP Lyschko: „Stunde Null“ ab 8.3. | Release-Party: 22.3. | loudnesswar.Festival | Waldmeister e.V. – Raum für Kultur Solingen | www.facebook.com/LyschkoMusik
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