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Unsichtbare Wurst zum Tod

23. Februar 2011

„Caligula“ von Albert Camus im Kleinen Wuppertaler Schauspielhaus - Theater an der Wupper 03/11

Der Vorraum im Palast des Caligula wird erst einmal zur Wartehalle. Der Kaiser ist verschwunden. Er trauert um Drusilla, seine Schwester und inzestuöse Geliebte. Der Hofstaat ist entsetzt. Nichts geht ohne Herrscher, keine Geschäfte, keine Intrigen. Was von ihnen zu halten ist, steht an der Wand. „Ist die Katze nicht im Haus tanzen die Mäuse auf dem Tisch“. Doch die Katze kommt wieder, im Clownskostüm, was sie auch gleich optisch außerhalb der bestehenden Ordnung stellt. Caligula ist keiner mehr von ihnen. Caligula strebt nach der endgültigen Wahrheit – nach vollkommener Freiheit als Gott. Seine Logik zwischen „Geld verdienen heißt stehlen“ und „Ich will den Mond als Geschenk“ ist einfach und bestechend. Dafür wird er morden, vergewaltigen, erniedrigen und quälen.

Regisseur Martin Kloepfer liefert im Kleinen Schauspielhaus eine interessante Inszenierung ab. Die philosophischen Textbausteine spulen in einer kaum zu definierenden Zeitebene ab, die Möglichkeiten des Exzesses sind für Tyrannen eben zeitlos. Das gilt insbesondere auch für Gregor Henze als Caligula im Trainingsanzug, einem Kleidungsstück, das ihn zwar weniger gefährlich erscheinen lässt, das aber auch eine Brücke in die Jetztzeit liefert, in der die Trainingsanzüge vor Fernsehern vergammeln, in dem Moderatoren sie mit viel Geld zum Vertelefonieren ihrer Existenz auffordern. Auch sie können jederzeit zu systemimmanenten Opfern der Gottgleichen werden. Und so geht es in der Choreografie des Hofstaates erst immer hin und her, dann aufgeregt zusammen. Dann lichten sich die Reihen. Die Hühner sind feige oder versuchen sich zu arrangieren. Sie lachen oder weinen auf Befehl, essen unsichtbare Wurst bis zum Tod, nur der Senf roch etwas streng.

Allein die Auseinandersetzungen mit seinem ärgsten Widersacher, dem Philosophen Cherea (Thomas Braus im Rollstuhl) setzen Caligula scheinbar zu. Auch dessen Logik ist nicht von schlechten Eltern, aber sein Einfluss zum Widerstand gegen das Böse ist auch nicht besonders groß. Der Apparat funktioniert reibungslos. Wenn Caligula seiner Geliebten Caesonia (Sophie Basse, auch mit schönem Tod) angesichts der getroffenen Enterbungs- und Entleibungs-Pläne trocken erklärt, das sei "Pädagogik", dann ist das erst der Anfang von Willkür und Terror, Formen der Unterdrückung und Demütigung, die er perfektioniert, solange man ihn nur lässt. Denn eigentlich zieht er die Daumenschrauben ins Unerträgliche, um die Gequälten zum Widerstand, endlich auch zur Rebellion zu provozieren, denn das führt zwangsläufig zu seinem Tod, den der Zuschauer zwar kommen sieht, aber dessen Zeitpunkt eben nicht.

Diesen hält Kloepfer gekonnt in Balance zur Widerwärtigkeit. Immer wenn man denken könnte, jetzt ist es genug, kommt noch eine ausgeklügelte Gemeinheit, in Wuppertal auch schon mal mit Klamauk. Albert Camus schrieb sein Erstlingswerk „Caligula“ kurz vor dem Zweiten Weltkrieg mit 25 Jahren, Vergleiche mit Despoten dieser Zeit drängen sich zwar auf, sind aber nicht relevant für den zeitlosen Text über die Leidensfähigkeit von menschlichen Schafsherden. In der sehenswerten Wuppertaler Inszenierung ist dies mit schauspielerischen Mitteln überaus deutlich geworden.


Caligula I Sa 5.3., 20 Uhr
Kleines Schauspielhaus Wuppertal
Infos: 0202 569 44 44

PETER ORTMANN

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