Der Vorraum im Palast des Caligula wird erst einmal zur Wartehalle. Der Kaiser ist verschwunden. Er trauert um Drusilla, seine Schwester und inzestuöse Geliebte. Der Hofstaat ist entsetzt. Nichts geht ohne Herrscher, keine Geschäfte, keine Intrigen. Was von ihnen zu halten ist, steht an der Wand. „Ist die Katze nicht im Haus tanzen die Mäuse auf dem Tisch“. Doch die Katze kommt wieder, im Clownskostüm, was sie auch gleich optisch außerhalb der bestehenden Ordnung stellt. Caligula ist keiner mehr von ihnen. Caligula strebt nach der endgültigen Wahrheit – nach vollkommener Freiheit als Gott. Seine Logik zwischen „Geld verdienen heißt stehlen“ und „Ich will den Mond als Geschenk“ ist einfach und bestechend. Dafür wird er morden, vergewaltigen, erniedrigen und quälen.
Regisseur Martin Kloepfer liefert im Kleinen Schauspielhaus eine interessante Inszenierung ab. Die philosophischen Textbausteine spulen in einer kaum zu definierenden Zeitebene ab, die Möglichkeiten des Exzesses sind für Tyrannen eben zeitlos. Das gilt insbesondere auch für Gregor Henze als Caligula im Trainingsanzug, einem Kleidungsstück, das ihn zwar weniger gefährlich erscheinen lässt, das aber auch eine Brücke in die Jetztzeit liefert, in der die Trainingsanzüge vor Fernsehern vergammeln, in dem Moderatoren sie mit viel Geld zum Vertelefonieren ihrer Existenz auffordern. Auch sie können jederzeit zu systemimmanenten Opfern der Gottgleichen werden. Und so geht es in der Choreografie des Hofstaates erst immer hin und her, dann aufgeregt zusammen. Dann lichten sich die Reihen. Die Hühner sind feige oder versuchen sich zu arrangieren. Sie lachen oder weinen auf Befehl, essen unsichtbare Wurst bis zum Tod, nur der Senf roch etwas streng.
Allein die Auseinandersetzungen mit seinem ärgsten Widersacher, dem Philosophen Cherea (Thomas Braus im Rollstuhl) setzen Caligula scheinbar zu. Auch dessen Logik ist nicht von schlechten Eltern, aber sein Einfluss zum Widerstand gegen das Böse ist auch nicht besonders groß. Der Apparat funktioniert reibungslos. Wenn Caligula seiner Geliebten Caesonia (Sophie Basse, auch mit schönem Tod) angesichts der getroffenen Enterbungs- und Entleibungs-Pläne trocken erklärt, das sei "Pädagogik", dann ist das erst der Anfang von Willkür und Terror, Formen der Unterdrückung und Demütigung, die er perfektioniert, solange man ihn nur lässt. Denn eigentlich zieht er die Daumenschrauben ins Unerträgliche, um die Gequälten zum Widerstand, endlich auch zur Rebellion zu provozieren, denn das führt zwangsläufig zu seinem Tod, den der Zuschauer zwar kommen sieht, aber dessen Zeitpunkt eben nicht.
Diesen hält Kloepfer gekonnt in Balance zur Widerwärtigkeit. Immer wenn man denken könnte, jetzt ist es genug, kommt noch eine ausgeklügelte Gemeinheit, in Wuppertal auch schon mal mit Klamauk. Albert Camus schrieb sein Erstlingswerk „Caligula“ kurz vor dem Zweiten Weltkrieg mit 25 Jahren, Vergleiche mit Despoten dieser Zeit drängen sich zwar auf, sind aber nicht relevant für den zeitlosen Text über die Leidensfähigkeit von menschlichen Schafsherden. In der sehenswerten Wuppertaler Inszenierung ist dies mit schauspielerischen Mitteln überaus deutlich geworden.
Caligula I Sa 5.3., 20 Uhr
Kleines Schauspielhaus Wuppertal
Infos: 0202 569 44 44
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
„Schauspielerfahrung schult perspektivisches Denken“
Schauspieler Thomas Ritzinger hat mit „Die letzte Nachtschicht“ einen Roman geschrieben – Interview 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24
Richtig durchgestartet
Der Wuppertaler Verein Insel – Porträt 05/24
Ethel Smyth und Arnold Schönberg verzahnt
„Erwartung / Der Wald“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 05/24
„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24
Auf die Melancholie die Liebe
Theatergruppe Bamboo inszeniert frei nach Georg Büchner – Bühne 04/24
Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24
„Es geht nicht mehr um den romantischen Naturort“
Manuel Schmitt inszeniert „Erwartung / Der Wald“ an der Oper Wuppertal – Premiere 04/24
Von der Liebe enttäuscht
Premiere von Georg Friedrich Händels Oper „Alcina“ in Wuppertal – Auftritt 04/24
„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24
„Wir hoffen, dass die Geschichte neu wahrgenommen wird“
Regisseurin Julia Burbach inszeniert „Alcina“ an der Oper Wuppertal – Premiere 02/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23
Knechtschaft und Ungerechtigkeit
„Cinderella“ im Opernhaus Wuppertal – Oper 12/23