Jean Fautrier, wer war das gleich? Als Künstler einst ein Vorbild, dann fast vergessen, aber heute mit frischem Blick neu zu entdecken: Der Pariser Maler, Grafiker und Bildhauer (1898–1964) gilt als wichtiger Wegbereiter des Informel. Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum rückte ihn gerade in den Fokus: Der Titel der aktuellen Sammlungsausstellung zu abstrakter Kunst, „Nicht viel zu sehen“, ist dem gleichnamigen Fautrier-Bild von 1959 entlehnt. In Hagen präsentiert das Emil Schumacher Museum jetzt die deutschlandweit erste große Fautrier-Retrospektive seit 45 Jahren. Auf zwei Etagen gibt das Museum mit 170 Werken – Gemälden, Grafik, Künstlerbüchern und dem gesamten bildhauerischen Œuvre – einen ansehnlichen Überblick über alle Schaffensphasen, arrangiert nach Themen und Techniken.
Die Ausstellung startet überraschend traditionell mit dem schmalen realistischen Frühwerk des jungen Künstlers, der als Kind nach London übersiedelte, schon mit 14 an der Akademie studierte, doch enttäuscht mit Anfang 20 in die brodelnde Kunstmetropole Paris zurückkehrte. Die erste Ausstellungsetage gehört ansonsten dem grafischen Werk ab den 1930ern: Büchern, Illustrationen, kleinformatigen Akten und Landschaften. Viel Raum erhalten seine „Originaux multiples“, 15 Editionsserien ab 1950, für die Fautrier das Grundmotiv entwarf. Seine damalige Lebensgefährtin Jeannine Aeply druckte und überarbeitete diese (zusammen mit Studierenden) malerisch und mit Pigment und Papier. Manchmal half der Künstler. Reich und glücklich wurde er dabei nicht, sondern – die Wandtexte informieren ausführlich – gab mehrfach frustriert die Kunst für Brotjobs auf. Was er aber nie lange durchhielt.
Anhand seiner Blumen- und Obststillleben, Landschaften und seines freien Spätwerks der 1960er-Jahre ist anschaulich nachzuvollziehen und zu lesen, warum Fautrier das Label Informel für seine Kunst nicht wirklich behagte. Von Traditionen befreit, ja, aber formlos? Anders als Künstlerkollegen malte er nie ungehemmt gestisch drauflos, seine Kompositionen sind geplant, die Motive zentral ins Bild gesetzt, geradezu haptisch. Trotz Abstraktion ging er stets vom Gegenstand aus. Und setzte pastose Ölfarbe und Pigmente auf handgeschöpftes Papier, das er auf Leinwände klebte. Die schrundige, reliefartige Oberflächenstruktur findet sich auch bei seinen Bronzeköpfen und -figuren. Im hellen Oberlichtsaal ist Fautriers gesamtes bildhauerisches Werk großzügig ausgebreitet, zur freien Entfaltung der Ausdruckskraft.
Ob ihn das zum „Genie und Rebell“ macht, sei mal dahingestellt. Für die grundsolide kunsthistorische Ausstellung, die sich ohne Seitenblicke auf Zeitgenossen und mediales Beiwerk ganz auf das Lebenswerk eines Individuums konzentriert, klingt der Titel recht reißerisch. Fautrier war einfach ein Vollblutkünstler mit eigenständigem Stil, den er eigenwillig vorantrieb, weil es ihm wichtig war, persönlich und als Zeitzeuge. Seine Werkreihe „Les Otages“ zur Hinrichtung von kriegsgefangenen Geiseln, die ihn als Maler und als Bildhauer in den 1940er-Jahren weltberühmt machte, ist von zeitloser Eindringlichkeit und leider wieder sehr aktuell.
Jean Fautrier – Genie und Rebell | bis 27.10. | Emil Schumacher Museum Hagen | 02331 306 00 66
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