Früher war es ein Genuss, morgens die Wohnungstür zu öffnen und die druckfrische Zeitung in den Händen zu halten. Als Frühstückslektüre war sie unverzichtbar. War sie nicht da, fehlte etwas wie sonst nur Brot oder Butter. Sie bot Kontemplation, Gemütlichkeit und Information. Sie knisterte und roch nach Papier und Druckerschwärze. Sie verstellte den Blick auf manch übelgelaunte Mitbewohner. Sind jene Zeiten vorbei? Der moderne Frühstücker schaut auf ein Touchscreen, wischt und tippt, ist so Teil des digitalen Dorfes. Wer dagegen anmeckert, gilt als senil. Und tatsächlich, der Blick auf die erste Seite einer aktuellen Tageszeitung verwirrt. Habe ich das nicht gestern schon alles gelesen? Halte ich vielleicht die Zeitung von gestern in den Händen? Der Geschwindigkeit digitaler Medien, die uns nicht nur am Computer, sondern auch am Smartphone, an U-Bahnhöfen und an Werbetafeln mit den Breaking News versorgen, kann das gedruckte Papier nichts entgegensetzen. Skandale, Rücktritte, Katastrophen und Kriege finden in der Zeitung immer erst einen Tag später statt. Insofern wirken die ersten Seiten der Tageszeitung so anachronistisch, als wollte man mit einer Droschke von Berlin nach Paris fahren.
Das gilt aber nur für die ersten Seiten einer Zeitung. Weiter hinten sind exklusive, aktuelle und zuweilen auch spannende Artikel zu finden – auf den Lokalseiten. Die großen Medienkonzerne können zwar Echtzeitbilder aus Kundus und Washington, aus Peking und aus Berlin liefern, nicht aber aus Vohwinkel, Ronsdorf oder Oberbarmen. Dazu fehlen ihnen die Mitarbeiter und den genannten Orten wohl auch die weltweite Relevanz. Hier genau liegt die Chance der Regionalzeitungen. Aber wird diese Chance genutzt? Die Realität sieht anders aus. Im Ruhrgebiet und in Köln schließen reihenweise Lokalredaktionen. Dabei betreiben die Verlage gern Etikettenschwindel, den sie als Synergieeffekt verkaufen. Die altehrwürdige Westfälische Rundschau in Dortmund erscheint bereits seit langer Zeit mit einem überregionalen Teil von der WAZ und seit anderthalb Jahren mit einem Lokalteil des Konkurrenzblattes Ruhr-Nachrichten. Ähnlich verfahren Kölner Stadtanzeiger und Kölnische Rundschau. Wie Mafiabosse teilen sich die großen Verlagshäuser das Land in Einflusssphären auf. Auf der Strecke bleibt die journalistische Vielfalt. Davon kann man im Bergischen Land allerdings sowieso nur träumen. Die Westdeutsche Zeitung ist hier die einzige regionale Tageszeitung. Obwohl zumindest in Wuppertal konkurrenzlos, steckt auch sie in einer tiefen ökonomischen Krise. Von 2002 bis 2012 sank die verkaufte Auflage um 36 Prozent. Auch das Anzeigengeschäft brach infolge der elektronischen Konkurrenz ein. Das bleibt nicht ohne Folgen. Die Anzahl der Redakteure soll in den nächsten Jahren halbiert werden.
Dabei ist eine kritische Öffentlichkeit, die durch Lokalberichterstattung hergestellt wird, besonders in unserer Stadt unverzichtbar. Seit zehn Jahren herrscht im Rathaus in Barmen eine große Kooperation, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die ehemaligen großen Volksparteien CDU und SPD haben sich gegen die vielen kleinen Parteien verbündet, um möglichst geräuschlos die Geschäfte der Kommune abzuwickeln. Ob Theaterschließung oder Umbau des Döppersbergs: Wichtige Entscheidungen finden im kleinen Zirkel der Macht statt. Die Krise des Lokaljournalismus ist deshalb auch eine Krise der Lokalpolitik. Bei Stichworten wie Kindergarten, Bücherei und Schwimmbad wird ein weiteres Dilemma deutlich. Durch die gnadenlose Unterfinanzierung der Stadt geht es in der Kommunalpolitik faktisch nur noch um die Verwaltung des Elends. Gestaltungsspielräume gibt es in Zeiten von Haushaltssperren kaum mehr.
Und wer mag von solchem Elend lesen? Natürlich trägt hier die Lokalpresse auch eine Verantwortung. Initiativen, die unsere Stadt lebenswerter machen, brauchen Aufmerksamkeit. Aber Lokaljournalismus benötigt hierfür auch qualifiziertes Personal. Es reicht eben nicht aus, davon zu berichten, dass ein Hund einen Briefträger biss. Berichte aus der Stadt und aus den Stadtteilen können genauso spannend, wichtig und lesenswert sein wie Berichte aus New York, Rio und Tokio. Es bedarf nur ausgiebiger Recherche und guter Schreiber. Insofern ist die Personalpolitik der hiesigen Tageszeitung, die auf Entlassungen setzt, kontraproduktiv. Wer kauft schon langweilige Zeitungen?
Die Auflage wird weiter sinken. Hoffnung machen da noch die Projekte, die sich gegen den Mainstream stemmen. Die Bergischen Blätter erscheinen tapfer schon seit 1978. njuuz macht ein beachtliches Angebot an lokalem Online-Journalismus. Das jüngste Küken der lokalen Medienwelt ist die Wochenzeitung talwaerts. Bei näherem Hinsehen ist die Medienlandschaft hierzulande also doch recht bunt und lebendig.
Aktiv im Thema
www.vocer.org
www.talwaerts-wochenzeitung.de
www.njuuz.de
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter:
www.trailer-ruhr.de/thema + www.choices.de/thema
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