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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

23. Februar 2012

Lars Emrich inszeniert „Momo“ am Kinder- und Jugendtheater als märchenhaftes Spiel mit philosophischem Tiefgang – Bühne 03/12

Was Glück ist, scheint eine rein philosophische Frage zu sein. Denn für den einen ist es ein Fingerhut voll, für den anderen beginnt es erst ab dem Zehn-Liter-Kanister. Glück also ist relativ. Zeit hingegen scheint klar definierbar, weil sie unter anderem präzise messbar ist. Und doch ist gerade sie es, über die sich lange Essays lohnen. Viele Dichter haben das versucht, sie besungen, und ein gelungenes Beispiel ist Michael Endes Kinderbuchklassiker „Momo“.

„Das wollte ich schon längst auf die Bühne bringen“, sagt Regisseur Lars Emrich. Geschwindigkeit, Entschleunigung und das Phänomen Zeit sind für ihn absolut zeitlose, also immer gültige Begriffe. „Außerdem ist die Zeit für das Stück reif. Denn wir haben die perfekte Darstellerin“. Die Titelrolle wird in der Inszenierung des Kinder- und Jugendtheaters, die Samstag, 10. März, Premiere feiern wird, von Elvin Karakurt verkörpert. Sie ist ein sogenanntes Eigengewächs aus der Theaterschule, ist am Carl-Duisberg-Gymnasium in der Musical-AG und spielte in „Ben liebt Anna“ bereits die weibliche Titelrolle. „Als ich sie beim ersten Casting von Beyonce Knowles ‚Helo’ singen hörte, war ich von ihrem Talent wirklich beeindruckt.“ Die größte Schwierigkeit, behauptet der Regisseur, habe seine junge Darstellerin damit, nun diese Momo-Facette, nämlich eine besonders gute Zuhörerin zu sein, zu spielen. „Die Elvin ist lebhaft und ein Plappermaul“.

Plädoyer für Freundschaft und soziales Miteinander
Ein wie stets von Laurentiu Tuturuga gearbeitetes, aus vier Teilen bestehendes Bühnenbild dient als sehenswerte Kulisse für das wohlbekannte Abenteuer, das das jenseits der Zivilisation in einer Ruine hausende Mädchen Momo erlebt. Effizienz und Rationalität sind die Zauberworte, nach denen sich plötzlich alle ihre Freunde richten. Ominöse graue Herren, in deren Gegenwart ein Gefrierfach als Sonnenplatz anmutet, diktieren, wie sich Arbeiten optimieren lassen, und dass Freizeit oder Vergnügen dummes Zeug sind. Im Kampf gegen diese grauenhaften Eminenzen begegnet das selbstständig denkende Mädchen der wundersamen Schildkröte Kassiopeia (Marie Speckmann). Dieses Geschöpf, in Ehren weise geworden und seiner eigenen Taktung folgend, führt Momo zu Meister Hora (Udo Dülme). Er beschenkt die Menschen mit dem kostbarsten Gut, nämlich Zeit, und zwar in Form hübscher Stundenblumen. „Und das“, so findet Lars Emrich, „ist doch ein schönes Bild: beschenkt zu werden.“ Was der Einzelne mit dem Geschenk anfängt, ist seine Sache, und an diesem Punkt könnte man trefflich darüber philosophieren, für was man seine Zeit gerne investiert, oder sich die bange Frage stellen, was passiert, wenn die Zeit am Ende eines Lebens droht abzulaufen. „Dann resümiert man, und wie fällt dann die Bilanz aus?“. Vor allem sei unsere Gesellschaft wirklich „weit davon entfernt, Zeit zu haben. Wir hetzen, sausen, und Gaben, wie zuhören zu können oder tatsächlich ohne schlechtes Gewissen gar nichts zu tun, sind selten geworden. Die mediale Überforderung ist überall spürbar, genauso wie dieser permanente Konsum, am schlimmsten noch, um zu kompensieren, der kann nicht gut sein.“

Investition in die schönen Dinge des Lebens
An der legendären „Momo“-Verfilmung mit Radost Bokel hat sich Lars Emrich für sein Konzept „kein bisschen orientiert. Das Buch ist Ideengeber genug. Wem da beim Lesen keine Bilder kommen ...“ Die Sprache Michael Endes hält er ebenfalls für zeitlos. Allerdings gibt es ein paar Begriffe, die aus den 70er Jahren ins 21. Jahrhundert transferiert werden müssen. „Lochkarten spielen“ wie es im Original heißt, diese Formulierung wird durch „Excel-Tabelle-spielen“ ersetzt. „Das ist ja etwas, was den Kindern von heute flüssig über die Lippen geht“, weiß der Vater zweier Teenager-Töchter.
Untermalt wird die märchenhafte Geschichte von eigens für diese Inszenierung komponierter Musik von Andreas Grimm. Die Versuchung sei groß gewesen, auch ein richtiges Lied für „Momo“ einzubauen, denn „Elvin hat eine tolle Stimme“. Aber das wäre dann ein immer wiederkehrendes Motiv gewesen, das insgesamt zu zeitaufwändig geworden wäre. Zeit nämlich spielt immerzu und in allen Formen eine Rolle. Bei der Inszenierung für Kinder ab neun Jahren insofern, als deren Begabung, sich konzentriert aufs Zuschauen zu fokussieren, eben durchaus limitiert ist.

„Momo“ I Premiere 10.3., 16 Uhr Aula Berufskolleg Elberfeld/weitere Aufführungen: 14.3., 18 Uhr Klosterkirche Lennep/17.3., 16 Uhr Jugendzentrum Schwelm/20.3., 18 Uhr Gesamtschule Solingen-Wald/22.3., 18 Uhr/24./25./28.3, 16 Uhr Aula Berufskolleg I www.kinder-jugendtheater.de


VALESKA VON DOLEGA

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