Man darf sich nur nicht ablenken lassen, sollte das Foyer durchqueren und an der Garderobe für die Sisley-Ausstellung vorbei hoch ins Zwischengeschoss gehen, das von draußen lediglich den Titel und das Genre seiner Kunst mitteilt. Aber hier sind etliche Meisterwerke zu sehen, die noch wie von einem anderen Stern präsentiert werden. Unter dem Titel „Ich“ zeigt das Von der Heydt-Museum für einige Monate Selbstportraits aus der eigenen Sammlung. Ausgestellt sind Malereien und Druckgraphiken sowie Fotografien und zwei Bronzeplastiken, insgesamt kaum vierzig Werke. Und wenn wir ergänzen, dass sich die (kleinformatigen) Druckgraphiken darunter mit u.a. sieben Selbstbildnissen von Max Slevogt, drei von Hans Thoma und fünf von Max Liebermann in einem Raum befinden, so wird weiter deutlich, wie großzügig und respektvoll die einzelnen Werke präsentiert sind: wie Preziosen im rechten Zusammenhang.
Dies trifft eben auch auf dieses Kabinett mit den Malern der deutschen Kunst zwischen Expressionismus und Realismus zu. Vielleicht zeichnet sich im nüchternen Nebeneinander der Portraits, welche die Künstler von sich über Jahrzehnte hinweg angefertigt haben, am direktesten ab, was es mit dem Selbstbildnis als künstlerischer Gattung auf sich hat: was dessen Befähigung ist und inwiefern sie ein Wagnis darstellt. Denn hier haben sich die Künstler unter jeweils gleichen oder ähnlichen Bedingungen im Vergehen der Jahre der eigenen „ungeschönten“ Beobachtung ausgesetzt und dies in der druckgraphischen Verbreitung für die Öffentlichkeit freigegeben. So sehr sich manche Darstellungen der Künstler auch ähneln mögen und nichts als die Büste zeigen, das ist hier alles andere als langweilig. Die ausgestellten Blätter sind knappe, konzentrierte Studien des sich Veränderns und Älter-Werdens mit dem Anspruch, etwas über das innere Reifen mitzuteilen, ja, sie sind eine Art Autobiographie mit den Mitteln der damals angesagten Kunst.
Damit aber sind wir mitten in der Diskussion zum künstlerischen Anspruch und zur Bedeutung von Selbstportraits, sei es in der Malerei, Skulptur, Zeichnung oder in den neuen Medien. Die Ausstellung im Von der Heydt-Museum vermittelt ganz aus dem eigenen Fundus, dass das Selbstbildnis ein besonderes Genre ist, hoch geschätzt auch von den Künstlern selbst. An ihm zeigt sich die Meisterschaft, das Innere nach außen zu kehren, unter dem Aspekt der Wiedererkennbarkeit. Und hier kann der Künstler weiter gehen als bei Bildnissen von anderen Personen, auf deren Eitelkeit er aus verschiedenen Gründen Rücksicht nimmt. Der Künstler ist sein eigenes Modell und steht sich sozusagen immer und jederzeit zur Verfügung.
Dafür gibt es in der Ausstellung ein wunderbares Beispiel. Von dem berühmten, früh verstorbenen Maler Wols ist eine mimische Sequenz mit der Fotokamera zu sehen, die, entstanden Anfang der 1940er Jahre, nur vordergründig mit heutigen Automatenfotos zu tun hat. Sie zeigt den Künstler den Bedingungen der Kamera ausgeliefert. Gerade im Lapidaren des Umraums und im Festhalten der eigenen veränderlichen Gesichtszüge unter zeitweiligem Entzug der Kontrolle sind dies intensive existenzielle Zeugnisse.
Psychogramme und Dokumente ihrer Zeit
Das vergleichende Sehen, das sich im graphischen Kabinett und bei den Wols-Fotografien anbietet, stellt sich im Von der Heydt-Museum aber auch weiterhin ein. Gleich zu Beginn der Raumfolge etwa. Während Rembrandt auf seiner Radierung (1638) den Arm vor seine Brust legt, hat Edvard Munch in seiner Lithographie (1895) einen Knochenarm horizontal im Vordergrund platziert. Bei Rembrandt verringert der Arm den Abstand zum Betrachter, bei Munch wird er zur Schwelle und Abgrenzung. Definiert wird ein spiritueller Innenraum, wie er für die nordeuropäische Kunst zwischen Jugenstil und Surrealismus so typisch ist. Aber diese beiden Blätter, welche die Ausstellung einleiten, vermitteln auch eine grundsätzliche Erfahrung im Umgang mit diesem Genre: Nicht nur die Art der Malerei und die gezeigte Mimik tragen zur Aussage bei, sondern auch die dargestellte Umgebung, die Kleidung und einzelne Accessoires, mit denen sich der Künstler darstellt.
Im Hauptraum, in dem Gemälde aus dem frühen 20. Jahrhundert zu sehen sind, wird dies weiter deutlich. Jedes dieser Bilder hat seine eigene Geschichte. Da ist Otto Muellers berühmtes „Selbstbildnis mit Pentagramm“ (1922). Wilhelm Morgner gibt sich ganz umfangen von einem funkelnden, an einen Regenbogen erinnernden Farbkranz. Wilhelm Geissler, der 1977 in Wuppertal gestorben ist, verbirgt sich etwas hinter der Staffelei, während Oskar Kokoschka in seinem Gemälde von 1917 mit aufgerissenen Augen und lebhaften Händen, die auf die im Krieg verletzte Lunge zeigen, seine damalige psychische Labilität zum Ausdruck bringt. Im Raum davor sind bereits Werke von Wilhelm Trübner und Hans von Marées zu sehen. Von Marées gibt es sogar zwei Malereien, ein Selbstbildnis als 18Jähriger, der bereits selbstbewusst um seine künstlerische Vollendung weiß, und ein Gruppenbildnis mit den Malerfreunden – Werke, die wir noch von der Übersichtschau des 1837 in Elberfeld geborenen Malers vor einigen Jahren in Erinnerung haben und die für sich bereits den Besuch der jetzigen Ausstellung lohnen.
Und wie verhält es sich mit dem einzigen Selbstbildnis eines lebenden, also zeitgenössischen Künstlers in diesem Kontext? Es stammt von Peter Schmersal, der, 1952 in Wuppertal geboren, hier und in Berlin lebt. Sein kleines Selbstportrait, das jetzt in einem stilvollen Dreiklang mit Francis Bacon und Joseph Beuys die Ausstellung beschließt, ist ein unmittelbares, aus dem Malprozess gewonnenes Psychogramm. Im quasi quadratischen Format ist der Kopf etwas aus der Mitte gerückt, das Datum 14.11.88 ist noch eingeschrieben – ganz unspektakulär und hochkonzentriert setzt sich das althergebrachte Selbstportrait hier nun in unsere Gegenwart fort.
„Ich – Künstlerporträts“ I bis 3. April im Von der Heydt-Museum in Elberfeld I www.von-der-heydt-museum.de
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