Nach dem Potsdamer Museum Barberini zeigt ab Mitte Februar das Von der Heydt-Museum mit „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ die erste posthume Retrospektive zu dem französischen Maler in Deutschland. Ein Gespräch mit Kuratorin Anna Storm.
engels: Frau Storm, was machte Maurice de Vlamincks Malen mit oft ungemischter Farbe anfangs des 20. Jahrhundert so besonders, van Gogh gab es da doch schon?
Anna Storm: Genau, van Gogh gab es schon und war auch ein wichtiges Vorbild für Vlaminck. Er hatte die Werke van Goghs 1901 in einer Ausstellung gesehen und war hin und weg. Der Maler bleibt dann auch während des gesamten Schaffens eine wichtige Inspirationsquelle für Vlaminck. Ebenfalls sehr wichtig ist die Begegnung im gleichen Jahr mit Henri Matisse. Im Herbstsalon 1905 in Paris stellen Matisse und Vlaminck gemeinsam mit einigen anderen Künstlern erstmals gemeinsam aus und werden dann als die sogenannten Fauvisten in die Geschichte eingehen. Der Begriff der Fauves („Wilde“) ist eigentlich ein Kritikbegriff von Louis Vauxcelles, der die Ausstellung besucht hat und empört war. Die unkonventionelle Malerei aus kräftig leuchtenden Farben und deutlich sichtbaren Pinselstrichen haben ihn regelrecht geschockt, und er soll gesagt haben, die malen ja wie wilde Bestien. Man kann heute retrospektiv sagen, dass der Fauvismus die erste europäische Avantgarde darstellt und gleichzeitig die Phase der künstlerischen Befreiung eingeleitet hat. Und Maurice de Vlaminck ist neben Matisse einer der wichtigsten Maler in dieser Gruppe.
War der Fauvismus auch ein Geschäftsmodell?
Das würde ich nicht behaupten. Die Kritiker haben ja eben eher ablehnend auf diese Kunstrichtung reagiert, und die Werke ließen sich nicht gut verkaufen, denn sie hoben sich sehr stark von dem ab, was man kannte und sonst gesehen hat. Fauvismus ist keine Kunst, die in dieser Zeit kommerziell erfolgreich war.
Aber August Freiherr von der Heydt wurde doch ein großer Sammler?
Genau. Das ist sehr, sehr interessant. Es gab schon 1910 eine erste Gruppenausstellung mit Werken Vlamincks in Wuppertal in der damaligen Ruhmeshalle, und man kann davon ausgehen, dass August von der Heydt sie gesehen hat. 1911 war er in Paris beim Herbstsalon und kaufte dort aus der Ausstellung heraus das erste Bild von Vlaminck, ein Stillleben. Wuppertal spielt für die Rezeption Vlamincks in Deutschland also eine wichtige Rolle. Das Von der Heydt-Museum hat heute immer noch drei Gemälde im Bestand. Und das frühe, 1911 erworbene Stillleben ist ein wichtiges Schlüsselwerk in der modernen Kunstsammlung des Hauses.
De Vlaminck war ursprünglich Radrennfahrer und Boxer, spielte eine wilde Geige und stellte sich vor dem ersten Weltkrieg als Autodidakt eher gegen das System. Wird man so Wegbereiter der Moderne?
Ja, das ist interessant, dass er so eine bewegte Biografie hatte. Künstlerisch ist er ein Autodidakt, er hat nicht an der Akademie studiert, das ist vielleicht auch der Grund, warum er akademische Kunst so abgelehnt hat. Er hatte trotzdem privaten Zeichen- und Malunterricht, sehr früh auch von einem klassischen Lehrer. Seine Eltern waren beide Musiker. Auch Vlaminck war musikalisch begabt und hat eine Weile als Violinist gearbeitet, um das Malen zu finanzieren. Er hat daneben auch noch sehr interessante Romane geschrieben. Dabei hat Vlaminck selbst eine Art Image von sich kreiert, sich den Berserker der Malerei genannt. Das ist auch ein Thema in der Ausstellung, sie trägt ja den Untertitel „Rebell der Moderne“. Dieses Image des Rebellen, des Andersdenkenden, geht auch auf van Gogh zurück, der ebenfalls Autodidakt war.
Das Von der Heydt-Museum zeigt in der Ausstellung sein gesamtes Œuvre bis zu seiner – ich zitiere Ihre Ankündigung – „höchst individuellen Spielart des Spätimpressionismus“. Das heißt?
Genau. Wir zeigen in Kooperation mit dem Museum Barberini in Potsdam die erste Retrospektive seit fast 100 Jahren in Deutschland. Dabei sehr frühe Werke, die noch vor dem Fauvismus entstanden sind, zwar hauptsächlich die fauvistische Phase sowie das unbekannte Spätwerk, also Arbeiten, die in den 1930er und 40er Jahren entstanden sind. Da verändert de Vlaminck seine Malerei sehr, sowohl formal als auch thematisch. Zu sehen sind Landschaften, zum Teil sehr düstere Landschaften, die durch eine andere Farbpalette und auch über andere Themen und einen anderen Duktus gestaltet werden. Man erkennt da eine spätere Rezeption des Impressionismus, was die Motive anbelangt. Die Heuschober, das bäuerliche Leben, die Naturverbundenheit. Aber mit einem anderen farblichen Spektrum als es die Impressionisten getan haben. Das hebt sich ganz deutlich von der fauvistischen Zeit ab und ist ein neuer Teil des Œuvres.
Behandelt die Ausstellung auch – vorsichtig formuliert – de Vlamincks frühe Koketterie mit den Nazis in Deutschland?
Ja, das tun wir, denn es ist ein wichtiges Thema. Dabei werden wir aber auch einräumen, dass es noch viele Leerstellen gibt, denn es ist nicht wirklich gut erforscht, wie de Vlaminck zum Nazi-Regime bzw. zur Vichy-Regierung stand. Wir wissen aber, dass er an der Deutschlandreise 1941 teilgenommen hat, und wir wissen auch, dass er mit Arno Breker bekannt war. Breker, der ja hier aus Wuppertal stammte, hat Vlaminck auch als Büste porträtiert. Zu diesem wichtigen Thema wird es Material in der Ausstellung geben und einen Vortrag von Isgard Kracht am 2. April: „Maurice de Vlaminck - vom ,entarteten‘ Künstler zum NS-Kollaborateur“.
Dennoch war er auf der ersten Documenta 1955 vertreten?
Auch das, ja.
Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne | 16.2. - 18.5. | Von der Heydt-Museum | 0202 563 62 31
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