Im Interview spricht der stellvertretende Direktor und Kurator des Museums Morsbroich in Leverkusen, Fritz Emslander, über die Ausstellung von Eric Lanz, die sich mit dem Kontaktverlust zur materiellen Welt durch Technik befasst.
engels: Herr Emslander, Videos von einem Beamer in einem Museum – fällt das in Zeiten von 3D-Welten und KI nicht aus der Zeit?
Fritz Emslander: Sicher gibt es mittlerweile einen ganzen Fuhrpark an neuer Technik, aber viele Künstler:innen arbeiten weiter mit Video, weil das filmische Medium doch etwas ganz anderes ist als Produktionen für die VR-Brille. Eric Lanz strebt nicht danach, ganze Welten zu simulieren oder – wie mit der VR-Brille – uns in konstruierten Räumen zur Realitätsflucht zu verhelfen. Ihm geht es durchaus klassisch um das Video, er reflektiert dieses Medium als Werkzeug und nutzt es, um Realität zu begreifen. Die Arbeiten der Ausstellung decken ja auch einen Zeitraum von gut 25 Jahren ab. Gegenüber den frühen 1990er Jahren ist der Alltag heute noch viel stärker von digitalen Bildern geprägt, mit der Folge, dass das Auge dominiert, wohingegen die Berührung, auch der Geschmack und der Geruch zunehmend verdrängt werden.
Was macht Eric Lanz so besonders in der laut Ankündigung „Parallelwelt der flüchtigen Bilder“? Und wie werden wir da auf unseren Alltag zurückverwiesen?
Er zeigt uns alltägliche Dinge, die aber in seinem Werk Metamorphosen durchlaufen und uns fremd werden. Andererseits greift er auch mit den Händen in die Welt der Dinge ein und nennt seine frühen Arbeiten „pseudo-interaktive Videos“. Mittlerweile sind solche virtuellen Interaktionen überall verfügbar und fast banal, aber in den 1990er Jahren war das noch nicht der Fall. Das sehen wir in einer Arbeit wie „Der Teig“, die sich auch in unserer Sammlung befindet. Man hat in dem Video verschiedene Tools – nicht nur die Hand, die den Teig greifen kann, sondern auch verschiedene Werkzeuge sowie medizinisches OP-Besteck und mehr. Diese werden auf dem Bildschirm von einer Maus angeklickt, und dann wird dieser Teig bearbeitet, traktiert, geschnitten und wieder genäht, so dass man im einen Fall an Pasta denkt, dann unvermittelt aber auch an den menschlichen Körper, der da behandelt wird.
Banale Dinge und Substanzen entfalten also ein fast surreales Leben – das erinnert mich an den uralten „Lauf der Dinge“ von Fischli und Weiss. Steckt in den Videos ein gewisser Witz?
Es ist kein Slapstick wie bei Fischli und Weiss, keine Folge von Kurzschlüssen. Es ist aber durchaus überraschend und auch faszinierend, was bei Eric Lanz passiert. Wenn er beispielsweise bewegte Flüssigkeiten beobachtet oder verschiedene Aggregatzustände. Oder wenn er Filme rückwärtslaufen lässt und so Dingen, die eigentlich verfallen oder zersetzt werden, den Anschein verleiht, sie würden wachsen – eine positive Wendung, der wir allzu gerne Glauben schenken, bis die Illusion irgendwann kippt. Das sind bewusst eingesetzte Irritationen, die das Ganze aus unserer gewohnten Wahrnehmung rausnehmen und es surreal erscheinen lassen.
In einem der Videos begleitet man den Künstler 20 Minuten lang durch ein leeres Museum – wie viel Zeit benötigen die Besucher:innen für die jeweiligen Videos?
Ja, das ist ein nächtlicher Gang durch ein noch nicht fertiggestelltes Gebäude, das sich erst im Gehen und Sehen nach und nach erschließt. Die Videos in unserer Ausstellung laufen zwischen 5 und 25 Minuten. Sie folgen aber keiner linearen Erzählung, man muss sie also nicht von Anfang bis Ende gucken, kann auch an unterschiedlichen Stellen ein- und wieder aussteigen. Die ganze Ausstellung überfordert uns nicht, zudem sind die Videos im Wechsel mit Fotoarbeiten zu sehen, die inhaltlich zusammenhängen.
Im Video „Durchgehend“ von 2015 zieht er einen rollenden Reisekoffer durchs leere Museum. Ist das der direkte Kontakt zu einer Welt, in der Technologie uns zunehmend in den Hintergrund rückt?
Das kann man so sehen. Es ist eine Art Performance, ein Durchmessen von Räumen mit dem eigenen Körper. Und das Besondere ist, dass Eric Lanz an diesen Koffer, den er hinter sich herzieht, eine Lampe geschnallt hat. In der Dunkelheit erhellt er damit nach und nach einzelne Räume, lässt sie als Bild erscheinen und dann auch wieder verschwinden. Das ist konzeptionell durchdacht, fast philosophisch, entwickelt aber zugleich einen eigenen Charme – wir kennen das von den Taschenlampen-Führungen hier im Schloss Morsbroich, ein sehr beliebtes Format zu den Leverkusener Kunstnächten.
Hat die Ausstellung auch einen inhaltlichen Parcours – und hat ihn der Künstler so gesetzt?
Ja, der Parcours ist bewusst geplant und macht nach und nach die verschiedenen Ansätze im Werk von Eric Lanz nachvollziehbar. Es beginnt mit einer neuen Arbeit, bei der Alltagsgegenstände auf einem Scan erfasst und visuell abgetastet werden. Dann setzt der Rundgang bei den frühen Videos der 1990er und 2000er Jahre an, die an unseren Tastsinn appellieren. Die folgenden Arbeiten zeigen mal erstaunliche, mal eklige Transformationen von Material. Sie verschränken das digitale und das analoge Sein und lenken die Wahrnehmung dabei auch auf die Medien, auf ihr Gemacht-Sein und ihre perfide, zu selten hinterfragte Logik.
Eric Lanz: Zusehends | 16.3. - 24.8. | Museum Morsbroich, Leverkusen | 0214 406 45 00
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