„Aram ist mein Dienstleistungsproletariat“, sagt Svenja, guter Mensch und Hospizclown, über ihren Quartiersgenossen, und das ist erkennbar weder gut noch lustig oder gar fürsorglich. Voll mit solch treuherziger Asozialität ist dieses interessante Stück von Nora Abdel-Maksoud, das Widersprüche sicht- und spürbar macht: „Café Populaire“ in der Inszenierung von Maja Delinić. Ist linksliberal so simpel positiv, wie man es dort oft glaubt? Und wenn nicht: Wäre das so schlimm?
Svenja (Madeline Martzelos) will natürlich für alle nur das Beste und führt daher wie als Symbol die Blockflöte mit sich – im Grunde ja klassisches Attribut für Harmlosigkeit. Und doch: Am Ende betreibt sie die „soziale Entmischung“ ihres Stadtteils Barmen und findet Gefallen an Bettelverbot. Entwicklung freilich steckt nicht dahinter, sondern Ambivalenz in krasser Form: Zentrale Idee des Stücks ist Fleisch gewordene Zweiteilung. „Der Don“, der plötzlich als dämonische Figur in sie fährt, ist eigentlich wohl schon immer Teil von ihr. Grusel und Amüsement treffen sich, wenn sie mitten in einer liberalen Litanei erstmals auch eigenen Dünkel offenbart: „Egal ob queer oder geflüchtet … oder Asi-Schnalle mit Extensions.“
Verbale Schärfen ziehen sich quer durch den Abend und machen Spaß – gerade auch, weil es nicht viel Handlung gibt, die gespannt zu verfolgen wäre: Svenja will das Kulturhaus Zur goldenen Möwe übernehmen, das Hospizbewohnerin Püppi gehört und für das sich auch Aram bewirbt. Allerdings bergen die Gemeinheiten eine Tücke beim Zuschauen, denn die Stoßrichtung der Hiebe ist nicht so klar wie ihre Spitzen. Es liest sich nicht so eindeutig wie es daherkommt. Ein grünes Milieu zwischen Weltverbesserern und Elite zu karikieren oder zu dämonisieren: Das ist leicht und auch keine ganz neue Idee mehr. „Café Populaire“ ist bei aller Flockigkeit etwas komplizierter.
Krasse Ambivalenz
Madeline Martzelos gibt Svenja selbstsicher und unbeirrt trotz aller Fragwürdigkeiten, die ihr hohes Level an Exaltiertheit konsequent durchhält. Surreal dagegen zum einen Don, von Julia Meier angelegt als maliziöse Erscheinung, die doch nur Svenjas eigene dunkle Seite materialisiert. Zum anderen Püppi, schon optisch ihr komisches Pendant: Stefan Walz spielt skurril diese schlaue Seniorin mit Riesenbrille, die sich im Verlauf ihrerseits zu einer Art Agitatorin aufschwingt. Generell ist dies kein Stück, das Schauspielern ein besonders facettenreiches Spiel ermöglicht oder abverlangt. Am ehesten eine Wandlung macht Konstantin Rickerts Figur Aram durch: Der radebrechende Unterschichtler entpuppt sich nämlich als Werber und Wirtschaftspsychologe, der sich via gespieltem Prekariat bessere (man beachte: bessere) Chancen bei toleranten Vermietern ausmalt. Man sieht: „Café Populaire“ steckt voller Überraschungen.
Gleich zwei andere Theaterstücke drängen sich geradezu auf – zum Vergleich und vielleicht auch zur Klärung. Das eine stand in Wuppertal zuletzt gleichfalls auf dem Spielplan, man könnte meinen: erstaunlicherweise. Denn auch Ingrid Lausunds „Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ bringt rund um einen antirassistischen Helfertreff viel Scharfes und Sezierendes, das die Paradoxien in progressiv bewegten Kreisen bloßstellt. Freilich ist es ein Diskursstück voller Kämpfe zwischen Eitelkeit und echtem Wollen; „Café Populaire“ dagegen diskutiert nichts.
Auch gekämpft wird nicht wirklich. Zwar windet sich Svenja wie vom sinistren Don fremdgesteuert, doch scheint sie im Grunde mit beiden Seiten recht zufrieden. So gesehen nicht ganz einleuchtend wirkt das Bühnenbild von Ria Papadopoulou, das von säuberlich platzierten Boxsäcken durchzogen ist. Mäßig motiviert hängen sie herum, werden zwar öfters Teil des Spiels, sind aber als Metapher nicht wirklich sprechend – ästhetisch allerdings doch prägnant.
Als zweites Referenzwerk winkt Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“; mit Svenjas explizitem Beinamen „guter Mensch“ ist das Winken kaum übersehbar. In diesem Klassiker tritt ja gleichfalls eine herzlose Zweitversion neben eine hilfsbereite junge Frau. Doch dort ist es schiere Notwendigkeit, aus der die Wohltäterin in die Rolle des kalten Machers schlüpft, die sie verabscheut. Svenja hingegen müsste gar nicht.
Und doch: „Café Populaire“ ist als Erlebnis erfrischend. Gerade dass die Richtung nicht so klar ist, macht das Zuschauen spannend. Brecht ist halt trotz allem ein großer Moralist mit Erziehungsziel; das scheint Abdel-Maksouds Ding nicht zu sein, was aber kein Makel sein muss. „Café Populaire“ beklagt kein Dilemma, es stellt nur dar: Eigennutz gibt’s in den besten Kreisen – auch denen, die sich weltenrettend wähnen.
Café Populaire | 20.2. ab 19.30 Uhr (Stream für 24 Stunden verfügbar) | Schauspiel Wuppertal | 0202 563 76 66
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