Das Theaterstück beginnt wie viele tägliche Meetings an Rhein und Ruhr und Wupper. Der Bürgermeister erkundigt sich nach dem Stand der städtischen Neu-Investition. Ein Prachtbau soll die Stadt verschönern, Klinik, Einkaufszentrum, die Immobilie ist schlichtweg austauschbar. Er will schließlich Wähler, Parteifreunde und natürlich seine Frau begeistern, die zufällig eine Baufirma besitzt, ja da schau her.
„Schiefergold“ heißt die Farce voller Wuppertaler Lokalkolorit, die Regisseurin Julia Penner als ihre erste Arbeit im Kleinen Schauspielhaus der Stadt inszeniert. Es ist eine schaurig-schöne Revue über die Machenschaften der Politik im Umgang mit den Bürgern. Ausgerechnet in der mittelständischen Stadt Barmen-Elberfeld soll eine Beauty-Klinik entstehen, ausgerechnet dort, wo das ehemalige Kloster des Ordens der unbeschuhten Karmelitinnen steht und auch noch einen denkmalgeschützten, sozialistischen Wallfahrtort beherbergt, das berühmte „Massenbauer“-Mosaik, das jährlich immerhin von einigen chinesischen Touristen gern besucht wird. Dummerweise liegt das Grundstück an einem lukrativen Standort, dummerweise ist es noch von einigen übrig gebliebenen Altkommunarden bewohnt, die zu skandalös günstigen Mieten unkündbar dort hausen. Für Bürgermeister Gerhard Klaasen ist das kein Problem, das nicht zu lösen wäre, zur Not eben mit illegalem Abriss.
Vier Schauspieler teilen sich die zwölf Rollen des Stücks von Chloë Cremer, das Julia Penner, selbst Tochter eines stadtbekannten SPD-Politikers, in rasanter Weise, mit Kostümwechseln auf offener Bühne und einem reduzierten Sperrmüll-Bühnenbild choreografierte. Der Zuschauer erhält dabei viel Einsicht in die unerhörte „Normalität“ von Stadtpolitik, bei der geschachert wird, wie einst auf dem Viehmarkt, wo hinter den Kulissen eine Hand die andere wäscht. Wer glaubt, das sei ein bisschen übertrieben oder überzeichnet, der möge einmal bei Großprojekten wie dem Oberhausener Centro oder den Vorgängen beim Bau der Düsseldorfer Staatskanzlei recherchieren. Aber Vorsicht, mag das Geplänkel und Gezerre auf der Wuppertaler Bühne noch heiter rüberkommen, der Wissende kann über solche, in der Realität sehr unkomischen, Machenschaften nicht mehr lachen, ein kleines Manko der wohl etwas zu hastig konzipierten Auftragsarbeit für die Wuppertaler Bühnen.
Dort geht es turbulent weiter. Die blasse Gegenkandidatin von Klaasen flüstert dem einen ungeheuerlichen Plan ein, der quasi alle Fliegen auf einen Streich killt: Klaasen soll während den Feierlichkeiten zur Wiedereröffnung der städtischen Seilbahn etwas Schweres auf Mosaik und Kommunarden werfen. Der pfeffert ein Tapir aus dem Tierpark hinunter, Alfonso, das Tier, überlebt, wird von der Alten-Wohngemeinschaft in Geiselhaft genommen, Klaasen wagt mit Abrissbaggern die Flucht nach vorn, doch da erscheint die in den USA lebende jüdische Eigentümerin des Klosters, deren Existenz der Kommune wohl nicht bekannt war. Auch der ziemlich gequälte Schluss des Stücks (Rachel Goldfarb findet die Kommune „echt crazy“) hat mir nicht gefallen. Die Schauspieler gaben allerdings im Wirrwarr der Kostüme alles.
„Schiefergold“ I erst wieder 19.1. 20 Uhr I Kleines Schauspielhaus Wuppertal I 02025 63 76 66
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