Es war die Zeit, als das mobile Integrationskommando zur Erde flog, um die Integration der Miggis endlich weiterzubringen, da die Zustände nicht mehr haltbar waren. Der Minister für Integration musste gerade gehen, sein Nachfolger wird rigoros durchgreifen, will Lösungen für Probleme, die einerseits keine wirklichen, andererseits nicht lösbar sind. Und so stehen im Wuppertaler Theater vier Protagonisten gegen den Rest der Welt. Wer einmal wissen will, wo die Debatte um Migration in Deutschland angekommen ist – im Klamauk. Nur so scheint es noch möglich zu sein, die neoliberale Verweigerung, sich dem Thema seriös zu nähern, auf einer Bühne zu verhandeln. Beschlussvorlage nennt Kai Schubert sein neuestes Stück „Das Ministerium“, dessen Grundgedanke wohl auf die Forderung nach einem Integrationsministerium auf Bundesebene von Maria Böhmer (CDU), Staatsministerin als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, zurückgeht, und das von Jenke Nordalm ziemlich futuristisch inszeniert wird.
Auf der Bühne stehen vier kunstvolle Raum-Module, mobile Container, die als Arbeitsplatz und Wohnraum gleichzeitig zu nutzen sind. Juliane Pempelfort, Anne-Catherine Studer, Julia Wolff und Thomas Braus suchen auf einem Quadratmeter eine Lösung der Probleme mit den Zuwanderern. Der bisherige Chef hat unwissentlich eine fehlerhafte Verordnung erlassen, deshalb wurde gewissen kriminellen Elementen mit Migrationshintergrund die staatliche Aufnahme gewährt. Er geriet so ungewollt in die Nähe der Russenmafia. Eine Woche hat sein Nachfolger den Vieren Zeit gegeben, sieben Tage, die das Stück strukturieren und denen die Dramaturgie folgt: Je näher der Zielpunktpunkt, umso hektischer, wirrer, aber auch vergnüglicher werden die Vorschläge des mobilen Einsatzkommandos, dessen private Auseinandersetzungen das Politische kontrastieren. Doch längst haben sie den Kontakt zur Gesellschaft verloren, kommunizieren mit Worthülsen oder abstrusen Vorschlägen beim Publikumsverkehr am Telefon, schieben lieber aufgeregt die Container hin und her oder produzieren sinnlose Videoclips zur Selbstdarstellung. Letzte Hoffnung bleibt ein von Hal (wohl nicht 9000) programmiertes Videospiel, mit dem die Bevölkerung das Zuwanderungsproblem nun selbst lösen sollen kann. Doch das endet online in einem faschistischen Fiasko. Am Ende tauchen fantasievolle Geschöpfe auf, die in einem surrealen Reigen die ganze Gesellschaft emotional gleichschalten und auch das Quartett integrieren. Deutschlands Bevölkerung in der Maximalmischung. Na schön.
Im Grunde genommen wird das Stück der Thematik nicht gerecht. Es wirkt wie eine lockere Tatsachenbeschreibung des Geistes, aus dem Politik und Gesellschaft ihren Umgang mit den unerwünschten Migranten speisen. Am überzeugenden Schauspieler-Quartett liegt es nicht, dass der Besucher die Prämisse bereits am Parkplatz wieder vergessen hat. Es fehlt einfach an substantieller Tiefe. Dieser Abend amüsiert, aber er berührt nicht wirklich.
„Das Ministerium“ I Mi 1.2., 20 Uhr I Kleines Schauspielhaus Wuppertal I 0202 569 44 44
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die beschädigte Gesellschaft
Eike Hannemann inszeniert ein eigens für Wuppertal von Autor Thomas Melle verfasstes Stück – Bühne 03/13
Die Beziehung als Gegengeschäft
Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ im Kleinen Wuppertaler Theater – Theater an der Wupper 03/13
Szenen einer Ehe
Geschichten über Gefühle müssen dank Tilo Nests „Nora“ nicht trivial sein – Bühne 02/13
Große Lügen im Mikrokosmos Familie
Jakob Fedler inszeniert am Kleinen Schauspielhaus „Käthe Herrmann“ – Bühne 12/12
Osama auf der Schwebebahn
Mark Ravenhills „Das Produkt“ in Wuppertal - Theater an der Wupper 11/12
Der fliegende Sitzungssaal
„Schiefergold“ im Kleinen Theater Wuppertal – Theater an der Wupper 11/12
Fluxus im Hinterhof
Eike Hannemann inszeniert in Wuppertal „Licht frei Haus“ von Thomas Melle – Theater an der Wupper 10/12
Das Wuppertaler Gleichnis
Christian von Treskow inszeniert „Perplex“ von Marius von Mayenburg - Theater an der Wupper 06/12
Frohlocken im Klassengeiste
„Aufstand“ an den Wuppertaler Bühnen - Theater an der Wupper 04/12
Osama fährt mal Schwebebahn
Mark Ravenhills „Das Produkt“ in Wuppertal - Theater an der Wupper 03/12
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
„Schauspielerfahrung schult perspektivisches Denken“
Schauspieler Thomas Ritzinger hat mit „Die letzte Nachtschicht“ einen Roman geschrieben – Interview 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24
Richtig durchgestartet
Der Wuppertaler Verein Insel – Porträt 05/24
„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24