Mag sein, dass Dürrenmatts Klassiker schon oft den Schulbuchtod erlitten hat. „Es ist ein tolles Stück, eine wunderbare Parabel. Und inzwischen ist bei der Inszenierung wieder eine gewisse künstlerische Freiheit erlaubt“, nennt Dramaturg Oliver Held gute Gründe, sich den 1956 uraufgeführten Evergreen neu vorzunehmen. Regisseurin Sybille Fabian, an den Wuppertaler Bühnen unter anderem für ihre Realisation der „Lulu“ gefeiert, hat die tragische Komödie, wie der Autor sein Werk selbst nannte, als phantasievolles Augenfutter in ein einfaches und geniales Bühnenbild gebracht. An der Geschichte hat sie nichts verändert.
Maskerade der Menschlichkeit
Wenig damenhaft kommt Claire Zachanassian, 62 Jahre alt und die reichste Frau der Welt, im bankrotten Güllen gleich zur Sache. Sie schlägt ohne Umschweife ein Geschäft vor: „Ich gebe eine Milliarde und kaufe mir dafür die Gerechtigkeit … Man kann alles kaufen … Eine Milliarde, wenn jemand meinen ungetreuen Liebhaber von vor fünfundvierzig Jahren tötet.“ An Kuohn spielt jene Claire Zachanassian, die sie als „eine Mischung aus Krokodil, Teufel und Kaspar“ beschreibt. „Sie hat einen unglaublichen Humor und macht den Güllenern ein unmoralisches Angebot: Beweist mir, dass ihr Menschen seid. Sonst fresse ich euch.“ Es ist eine moralische Prüfung, und weil Friedrich Dürrenmatt die Gattung Mensch für offensichtlich schlecht hielt und an eine negative Utopie glaubte, fallen die Beteiligten tragisch durch. Die Zachanassian braucht nur mit einem Geldschein zu wedeln. „Das ist der Tanz um das Goldene Kalb, und das ist das Komödiantische“, sagt An Kuohn. Die Güllener sind Phrasendrescher und Lügner, das Kapitalismusrezept funktioniert tadellos. Alfred Ill (Harald Schwaiger), der Mann, den Claire Zachanassian damals, als sie noch Kläri Wäscher und eine von ihnen war, so inniglich liebte, der sie mies hat sitzen lassen und dessen Leben sie jetzt fordert, wird gerne geopfert.
Wie manifestiert sich Erinnerung?
„Er war und ist ihre große Liebe“, beschreibt die Schauspielerin das Verhältnis der beiden Hauptfiguren zueinander. „Diese große Lovestory ist ein großes Grab des Schmerzes. Und der Schmerz ist ein Stacheldraht, der Claire durchtrennt.“ Anders als ihr Ex-Liebhaber hat sie nicht vergessen, wie er sie ausrangiert hat. Es gibt ausführliche Studien, wie sich die eigene Wahrheit als angeblich Erlebtes manifestiert, zitiert Oliver Held diese „Merkwürdigkeit, dass Alfred wirklich nicht mehr zu wissen scheint, was er ihr angetan hat“. Diese „große moralische Auseinandersetzung um das Seelenheil des Menschen“ steht für Hauptdarstellerin An Kuohn im Mittelpunkt des Stückes. Aber es gefällt ihr auch als Statement, wie eine Stadt so sehr ums Geld kämpft, passt das nicht fein ins Bergische Städtedreieck? Die Auseinandersetzung mit dem Bösen, sinnbildlich für die Armut und Not der Welt, in der die Position von Reichen und Politikern oft skandalös ist, wird in „sehr expressiver Bildsprache“, wie Oliver Held beschreibt, gezeigt.
Nach 23 Jahren in festen Engagements, seit 2002 an den Wuppertaler Bühnen, verabschiedet sich An Kuohn mit der Rolle der Claire Zachanassian zum Ende der Spielzeit. „Ich möchte in Zukunft frei arbeiten.“
„Der Besuch der alten Damen“ I Fr 17./24.5. 19.30 Uhr/So 26.5. 16 Uhr I Opernhaus Wuppertal I 0202 563 76 66
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