Utrecht, diese vitale Bischofsstadt mit dem Flair früherer großer Epochen, erlebte seine größte Blüte im Mittelalter: als ökonomisches, politisches und kulturelles Zentrum der nördlichen Niederlande. Dazu trug im 13. Jahrhundert der Bau des Domes bei. Mit dem Reichtum des Bürgertums im Rücken und Aufträgen aus ganz Europa entwickelten sich hier Bildhauer-Schulen auf höchstem Niveau, die in Stein und Holz konform im motivischen und gestisch figürlichen Kanon arbeiteten und doch eigene stilistische Akzente setzten. Freilich ist infolge des Bildersturms ein großer Teil dieser Werke zerstört worden, ein anderer ist der Zeit zum Opfer gefallen, und das Verbliebene ist weit in Europa zerstreut. Das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen, das selbst fünf Skulpturen aus Utrecht besitzt, hat jetzt neunzig Werke vom Altarretabel bis zum Gedenkstein zusammengetragen, die zwischen 1430 und 1530 entstanden sind. In dieser angenehm nahsichtig präsentierten Ausstellung wird schnell klar, dass wir es nicht mit starren Andachtsbildern oder mit reinem Kunsthandwerk zu tun haben. Die Utrechter Bildhauer des Mittelalters sind Künstler und Meister in ihrem Fach. Sie demonstrieren Frömmigkeit und Anmut, bieten aber auch Witz und szenische Erzählungen. Ein Putto lugt zwischen Orgelpfeifen hervor, und die Heilige Agnes legt einen Finger zwischen die Buchseiten, die so fein, naturalistisch gearbeitet sind, dass man nicht glauben mag, dass sie aus Holz sind. Mit dieser Ausstellung fokussiert das Suermondt-Ludwig-Museum aber auch die eigene Sammlung mittelalterlicher Skulpturen, die mit zum Besten in diesem Bereich gehört und selbst sehr, sehr sehenswert ist.
Dass es Bildhauer-Schulen im engeren wie im weiteren Sinne auch in der heutigen Zeit gibt, dokumentiert parallel dazu die Ausstellung „Die Bildhauer“, die in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf zu sehen ist. Vorgestellt werden die meisten der Bildhauer, die seit 1945 an der berühmten Düsseldorfer Kunstakademie lehren; integriert sind zudem Werke etlicher Künstler, die hier studiert haben und von hier aus bekannt wurden oder sich gerade im Kunstgeschehen etablieren. Als Ausstellung ist dies erfreulicherweise nicht ein stures Aneinanderreihen herausragender Positionen, sondern die Skulpturen interagieren in klugen Zusammenstellungen miteinander, ja, sie steigern sich noch. Am meisten gelingt das natürlich in der Klee-Halle im Erdgeschoss, in der die Großplastiken versammelt sind und die besten Qualitäten moderner Skulptur vor Augen führen. Die Namen? Sie beinhalten Ewald Mataré wie auch seinen Schüler Joseph Beuys und die Protagonisten der Figuration Katharina Fritsch und Martin Honert wie auch die derzeitigen Düsseldorfer Professoren wie Rosemarie Trockel und Rita McBride. Auch Ulrich Rückriem ist vertreten, der minimalistisch und konzeptuell orientierte Bildhauer, der die Steine aus dem Steinbruch gesprengt und teils belassen, teils geschliffen hat, ihnen aber immer den Charakter des Bruchstückes lässt – vielleicht sollte man bei ihm wie auch bei den figürlichen Holzskulpturen von Luise Kimme und Paloma Varga Weisz die Anfänge der Bildhauerei mit diesen Materialien im Kopf haben, um das Besondere hier wie da zu würdigen, in Düsseldorf wie in Aachen.
„Made in Utrecht“ I bis 16.6.I Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen I www.suermondt-ludwig-museum.de
„Die Bildhauer“ I bis 28. Juli I Kunstsammlung NRW, K20, Düsseldorf I www.kunstsammlung.de
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