Der eine kämpft um Ansehen und Geld, die andere darum, endlich das tun zu können, was sie will. Beide wollen heiraten, aber vorher noch schnell in die Sommerfrische, man muss schließlich tun, was die anderen wollen, machen, was die anderen machen. „Ich kann nicht nein sagen“, sagt der Vater. Er hätte es versuchen sollen. So schlittern fast alle in Goldonis Komödie „Trilogie der Sommerfrische“ dem Untergang entgegen, komme, was da wolle. Der adlige Habitus von 1761 hat heute breite Schichten erreicht. Schön für die Nutznießer, immer noch schlecht für die Menschen. „Hast du was, dann bist du was“ erreicht man heute auch durch lockende Kredite, die meist in den Ruin führen, daran hat sich seit dem Rokoko kaum etwas geändert. Das Leiden der Livorneser Gesellschaft ist uns nicht unbekannt und Urlaub auf Pump ist längst Motor des gesellschaftlichen Konkurrenzkampfes.
In Wuppertal hat den skurrilen Kracher um Geld und Liebe Intendant Christian von Treskow inszeniert, den in der Stadt niemand mehr will, weil der Mann wohl richtig gutes Theater organisiert und inszeniert. Angeblich sinken die Zuschauerzahlen. Kein Wunder, in Wuppertal spielt man entweder im ungeliebten kleinen Flur-Theater oder in dem pseudo-pompösen Opernschlachtsaal. Die Kulturpolitik in Wuppertal ist ein schlechter Witz. Das ist die Drei-Stunden-Kostümorgie auf der riesigen Bühne von Jürgen Lier nicht, ganz im Gegenteil. Im kalten grauen Amphitheater zeigt ein grotesk ausstaffiertes Ensemble mit Turmfrisuren, faustdicker Schminke und extravaganter Kleidung, was es drauf hat: Heisam Abbas als durchgedrehter Edelmann Leonardo will durch Heirat dem Pleitegeier entgehen, springt über Stühle, becirct seinen unbezahlten Diener; Juliane Pempelfort kämpft als seine Schwester Vittoria vehement und wiehernd um modische Kleidung, Liebhaber und Ansehen, übt sich im gekonnten – und handgreiflichen – Zickenkrieg mit der kühlen Giacinta (Hanna Werth), auf die Leonardo seine insolventen Augen geworfen hat. „Die Gier nach der Sommerfrische“ (Teil eins) grassiert. „Die Abenteuer in der Sommerfrische“ (Teil zwei) sind dagegen eher amourös. Während sich Vater Filippo (Joche Langner) cool, aber verzweifelt zu entspannen sucht, „ringelreihen“ die Paare – vielleicht auch vor Langeweile. Herrlich abgedreht Rosina (Anne-Catherine Studer) und Tognino (Hendrik Vogt), die dermaßen hyperverliebt sind, dass sie selbst in der Pause das Publikum beim Sektchen verzaubern wollen. Doch über allem schwebt der intrigante Fulgenzio, den Thomas Braus als Dämon mit der feurigen Hand spielt.
Nach der „Rückkehr aus der Sommerfrische“ (Teil drei) zeigt sich der Abgrund. Leonardos Besitz ist rettungslos verpfändet, seine Braut in Guglielmo verliebt, seine Schwester im Pappkarton unglücklich. Die Schminke ist ab, die Köpfe sind kahl. Selbst die Sprache wird zeitgenössischer. Stevie Wonder, Viktoria Beckham und die Stadtsparkasse als Sponsor tauchen auf. Aber der qualmende Dämon kriegt alles was er wollte. Wie im richtigen Leben, damals wie heute. Eine fulminante Inszenierung, die Spaß macht und glücklicherweise erst gar nicht versucht, so richtig „gesellschaftskritisch“ zu werden.
„Trilogie der Sommerfrische“ | So 16.12. 18 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 5 63 76 66
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