Es ist dieser erdige Geruch, den man sofort wahrnimmt, schwer und würzig, der einen an den Garten, die Blumen und die Fruchtbarkeit, aber auch an den Friedhof erinnert. Es gibt wohl keinen Ort, an dem man ihn weniger erwarten würde als gerade in einem Theatersaal. Aber auch im Theater werden Schlachten geschlagen. Eine denkwürdige ereignete sich vor genau 100 Jahren im Pariser Théâtre des Champs Elysées, als Igor Strawinskis „Sacre du Printemps“ uraufgeführt wurde. Ein Moment, den manche Historiker als die Geburtsstunde der Modernen Kunst bezeichnen. Der göttliche Nijinsky tanzte 1913, und nun wird das Wuppertaler Tanztheater zum Jubiläum an gleicher Stelle Pina Bauschs Inszenierung des „Frühlingsopfers“ präsentieren.
Die entstand 1975, als Pina Bausch noch am Beginn ihrer Karriere als Choreografin stand und sich mit einem türeknallenden Publikum herumschlagen musste. Dennoch kann man getrost davon ausgehen, dass niemand, der diese Produktion einmal gesehen hat, sie jemals vergessen wird. Solche Spuren hinterlässt nur große Kunst. Getanzt wird auf einem Mutterboden. Eine Tatsache, die dazu führt, dass die Tänzerinnen in ihrem Weiß bald wie geschundene Kreaturen ausschauen und letztlich neben der einen, die als Opfer ausgewählt wird, die restlichen Jungfrauen wie Geschlagene das Erwachen des neuen Tages erwarten.
Dieses Meisterstück wird in der kommenden Spielzeit den Programmschwerpunkt in Wuppertal bilden. Aber die Schatztruhe mit denkwürdigen Produktionen, die Pina Bausch hinterlassen hat, ist reich bestückt. So ist für das Frühjahr 2013 eine Neueinstudierung von einem jener Stücke geplant, die das Wuppertaler Tanztheater an die Spitze der Tanzwelt katapultierten. 1984 zeigte man „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört“, das ebenfalls mit den wuchtigen Effekten der Erde spielt, die den Bühnenboden bedeckt. Einen Blick zurück auf die Entwicklung des Tanztheaters, seine Gattung und seine Rezeption in Deutschland bietet im Oktober die Wiederaufführung der Tanzoper „Iphigenie auf Tauris“ von Christoph Willibald Gluck, die Pina Bausch 1975 im ersten Jahr nach der Gründung in Wuppertal inszenierte. Eine Arbeit, in der sie sich zwar stilistisch in einem Übergang befand und Elemente des Modern Dance noch vorhanden waren, die aber schon damals von der Kritik als Zäsur innerhalb der Geschichte des Tanzes in Deutschland erkannt wurde.
Ungebrochener Beliebtheit erfreuen sich die Wuppertaler auf den Tanzbühnen dieser Welt, und so stehen in der kommenden Spielzeit Gastspiele unter anderem in New York, Taipeh, Peking, Paris, Barcelona oder Neapel an, nachdem man gerade im Rahmen des Kulturprogramms der Olympischen Spiele in London eine umjubelte Werkschau zeigen konnte. Erotische Akzente setzt die Spielzeit gleich zu Beginn mit zwei delikaten Produktionen. „Two Cigarettes in the Dark“, uraufgeführt 1985, wurde im letzten Jahr neu einstudiert und erzählt von einer Gruppe Männer und Frauen, die Kontakt zueinander suchen, die verführen möchten und doch nicht zueinander finden können. Eine hochaktuelle Inszenierung über viel Kommunikation, die zu wenig Beziehung führt. Gleichwohl ein Stück, das in der neu einstudierten Fassung mit schnalzender Erotik aufgeladen und einer Musikcollage bestückt ist, die von Monteverdi bis Ravel reicht. Musik spielt auch in „Masurca Fogo“ eine zentrale Rolle, eine der unbeschwertesten Produktionen des Hauses, die in Zusammenarbeit mit der EXPO 98 in Lissabon entstand. In allen Tonlagen darf hier gestöhnt werden und das Repertoire der sinnlichen Verführung reicht vom Fado über den Walzer bis zum Tango, auch hier blieben die Bühnenbilder unvergesslich. Die neue Spielzeit kann kommen, das Angebot ist eine Freude.
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