Gemeint hat er „das Grundmuster des Energiekonfliktes: Die Ausrichtung auf fossile Energiequellen und später die Atomenergie ließ das heutige System entstehen. Die Umorientierung auf erneuerbare Energien gefährdet seine Struktur. Deshalb richten sich – nach der Phase der Ablehnung und des Belächelns ihrer Wegbereiter – nun die Kräfte darauf, das Tempo des Energiewechsels zu drosseln.“
Als Hermann Scheer 2010 sein letztes Buch „Der energ-ethische Imperativ“ schrieb, war Fukushima ein unbekannter Ort und die Laufzeitverlängerung der deutschen AKW in vollem Gange. Wie man Letztere anzettelt: Das Grundmuster hatte der streitbare SPD-Politiker in den USA beobachtet. „Unmittelbar mit dem Beginn der Präsidentschaft von Barack Obama wurden mehr als 2.000 hochbezahlte Lobbyisten der Energiewirtschaft zusätzlich nach Washington geschickt. Mit dem Auftrag, die angekündigte Energiewende durch gezielte Bearbeitung von Kongress und Medien zu durchkreuzen.“
Was sich in Deutschland seit dem AKW-Moratorium der Bundesregierung und dem erneuten Ausstiegsbeschluss 2011 ereignet hat, lässt sich medial schön nachverfolgen. Zuerst sollte die Energieversorgung über Stromlücken zusammenbrechen, über Pfingsten umgekehrt, wo viel Energie auf wenig Verbraucher träfe. Den Netz-Kollaps lösten Winter-Blackout-Szenarien ab, im Herbst folgte das „Zu-teuer“-Solarbashing. Und als deutsche Solarpanele gerade das frostbibbernde Frankreich vor dem Heizungsvereisen bewahrt hatten, entdeckte ironischerweise der Wirtschaftsminister, sein Volk nehme die Energiewende zu wörtlich und zu viel Investitionsgeld in die Hand. In Gefahr war nämlich leider das System.
Weil sich dem Liebesentzug auch der Umweltminister anschloss, gibt es nun ab April wieder drastisch weniger Vergütung für den Sonnenstrom. In drei Monaten rauschte der Satz für eine Kilowattstunde um ein Drittel und mehr in den Keller. Dabei war der Einspeiseobolus seit Juni 2010 schon um 38 Prozent gekappt worden. Neubaupläne rechnen sich kaum noch.
Der Kahlschlag – den laut ZDF-Politbarometer trotz aller Lobbyarbeit 60 Prozent der Bevölkerung beharrlich ablehnen – trifft zwei Branchen massiv: Die in Deutschland zur industriellen Reife gebrachte Photovoltaik droht zum ausschließlichen Spielfeld außereuropäischer Player zu werden. Große heimische Unternehmen wie Solon und das Gelsenkirchener Scheuten-Werk haben Insolvenz angemeldet. Wer noch auf bessere Zeiten hofft wie die Ruhrgebiets-Abakus-AG, fürchtet, die Hälfte der Arbeitsplätze einstampfen zu müssen. Und das ist wohl erst der Anfang.
Brandschneisen schlagen Rösler und Röttgen auch in jene Landschaft, die als „neuer Energie-Mittelstand“ heranwächst. Bürgergruppen nämlich, die zuletzt überall Energiegenossenschaften gründeten und in kommunale Solardächer investierten. Ihre Zahl hat sich seit 2006 auf knapp 300 verzehnfacht. Diese dürfen sich neben der Mini-Rentabilität neuer Anlagen auch mit einem besonderen Kuckucksei beschäftigen: Künftig müssen sie zehn Prozent des Sonnenstroms selbst vermarkten. Weder verfügen sie über entsprechende Instrumente, noch können sie diese Energie Schulen oder Kommunen verkaufen. Denn jene sind über Belieferungsverträge an große Stromversorger gebunden.
In Jüchen bei Mönchengladbach haben sie nun die lang vorbereitete Gründung einer Genossenschaft entnervt gekippt. Aus Bottrop meldet Marcus Nowak, Vorstand der „Sonnenkraft eG“, dass man „keine neuen Projekte mehr aktiv verfolge“. Dabei hatten die Genossen schon eine Million Euro in Solaranlagen investiert, die gut 80 Familienhaushalte versorgen können. „Ich habe etliche andere gehört, die sagen: Jetzt ist Schluss – wir machen nichts mehr“, sagt die gut vernetzte Andrea Kamrath von der Essener Solargenossenschaft. Und neu gründen? „Nee. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis mehr zum Ertrag.“
Andere schalten noch auf „Abwarten“. Die Dortmunder „Solarplus GmbH“ etwa plant nach dem Bau von 40 Schul-Solardächern ein Großprojekt auf zwei ehemaligen Deponien im Stadtnorden. Für Anlagen mit 3,5 Megawatt sollen 5 Mio. Euro auch bei umweltbewussten Bürgern akquiriert werden. Der Ökostrom würde für 1.000 Familienhaushalte reichen. „Die Fußangel ist die geforderte zehnprozentige Direktvermarktung“, hadert Co-Geschäftsführer Ansgar Bek, „das heißt: Eigentlich müsste man diesen Anteil verschenken. Einen Restoptimismus habe ich mir allerdings noch erhalten.“
Johannes Becker von der Dorstener Energiegenossenschaft, Herr über 400 kWp Solaranlagen, rechnet kein Solarprojekt mehr. Dafür aber Alternativen. „Wir prüfen aktuell den Bau bzw. das Repowering von zwei großen Windrädern.“ Mit denen würden die bisherigen „Solaristen“ als Energieerzeuger gleich in einer anderen Liga spielen. Möglicherweise könnte man so auch in die Direktbelieferung der eigenen Genossen einsteigen. Und die Kapitalbeschaffung? „Ach, wissen Sie“, sagt Friedhelm Beuse, als Volksbank-Vorstand auch Chef der Telgter Bürgerenergie eG, die sich ebenfalls mit Wind-Plänen befasst: „Eigentlich muss man nur eine Null hinten dran hängen ...“
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