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Szene aus „Federding“. Produktion: Treibsand Film Kim Münster, Regie: Tianlin Xu

Blind Date mit einem Buch

27. Oktober 2022

Film „Federding“ und Gesprächsformat „Living Library“ in Barmen – Spezial 10/22

Bibliotheken sind Orte der Sprache. Vielleicht war es Zufall, dass das Sprechen selbst zum Gesprächsthema wurde, wenn man am Samstag die Stadtbibliothek Barmen besuchte. Kaum Zufall war der Ort aber sicher für die Aktion selbst: „Living Library“ (lebendige Bücherei) hieß das Programm, das Anlass für besagte Begegnungen bot –  kombiniert mit der Filmvorführung „Federding“ von Tianlin Xu und Kim Münster.

Die chinesischstämmige Regisseurin Tianlin Xu hat in Bonn Medienwissenschaften studiert. Die Wuppertaler Filmemacherin Kim Münster ist im Tal hochaktiv, moderiert in Kürze in der Tanz Station die  Erstaufführung der Digitalversion von „Sydney an der Wupper“ mit Regisseurin Bettina Woernle, die 1982 eine junge Australierin am Tanztheater porträtiert hatte. Zuletzt war von Münster eine Produktion zu sehen, die gleichfalls im Kulturbereich verortet war, dabei einen ausdrücklich politischen Akzent trug: „The Case You“ handelte von Machtmissbrauch, von „toxischen Machtstrukturen im künstlerischen Prozess“.

Schwere in der Luft

„Federding“ nun, in China ausgezeichnet auf dem First International Film Festival Xining, wurde am Geschwister-Scholl-Platz im Obergeschoss mehrmals gezeigt. Es geht um die Lage Zugewanderter, ihr Mühen um Anerkennung, rechtlich und besonders über die Sprache. Szenen aus einer Familie sind zu erleben, unspektakulär, aber einprägsam inszeniert. Gleich zum Einstieg eine Ansicht ohne Gesichter, nur Hände beim Spiel mit bunten Kärtchen, die Stimmen machen klar: Ein Kind und sein Vater üben Deutsch; es scheint schon geübter als er. Es sind oft Bilder, die erzählen, weniger Gespräche: Da ist der Griff des Kinderwagens, den die Mutter beruhigend auf und ab bewegt, während sie beim Vorstellungsgespräch sitzt. Sichtlich ist es ein Schaukeln, kein Zittern – trotzdem: Eine Schwere liegt in der Luft; „das Ding mit Federn“ dagegen: Meint es Leichtheit? „Hoffnung ist das Ding mit Federn“ ist ein Zitat der Lyrikerin Emily Dickinson.

Eine Schule für alle

Die „Living Library“ nun lässt den Besucher vor einer Person Platz nehmen, die als „Buch“ aus ihrer Lebensgeschichte erzählt. Von der Grundidee will das Format tatsächlich eine andere Art Bucherlebnis bieten. Zur Alternative zum Lesen mutet ein Beispielgespräch dann aber nicht an, es ist eher ein originelles Gesprächsformat im Stil eines Blind Date.

Von der Moderation zu „Buch“ Georgina geführt, erklärt man, man wolle es gern am Zeitpunkt ihrer Ankunft in Deutschland „aufschlagen“. „Das war am Kölner Hauptbahnhof“, antwortet die Tochter eines griechischen Gastarbeiters, „bis heute habe ich dort diesen Moment positiv im Sinn.“ Von üblichen Büchern unterscheidet die menschliche Variante sich auch darin, dass sie durchaus mahnt: „Das habe ich doch schon zweimal gesagt“, wenn man sich ihre Stationen nicht gemerkt hat; sie akzeptiert aber den Konter, normalerweise könne man in Büchern doch durchaus zurückblättern. „Sprache als Schlüssel“ ist ihr ein erklärtes Anliegen, und Georgina berichtet: „Zuwandererkinder wurden damals nicht eingeschult. Es war wertvoll, dass es am Ort eine griechische Schule gab.“ Zum Lernen des Deutschen indes, das sie für unabdingbar hält, sei eben diese Ausbildung in rein griechischem Kontext zweischneidig gewesen: Besser sollten Kinder mit Deutschen lernen.

Ende der Lektüre

Wer Spaß an der Buch-Analogie hat, wie der Berichterstatter, und sich etwas in Wuppertal auskennt, konnte zu Gesprächsende ergänzen, in Anhängen gebe es doch manchmal ein Personenregister: „Steht in Ihrem ‚Theo Olympos‘ drin?“ „Ja“, gibt Georgina zurück, natürlich tut es das, Olympos kennt im Tal wohl so ziemlich jeder Grieche, nicht zuletzt war er Mitinitiator genau der Schule, die sie eben erwähnt hat. Nachdem man im Anschluss Xus und Münsters Film gesehen hat, ahnt man freilich: Besser hätte man Georgina vielleicht nach Themen von dort gefragt. Hatte ihr Vater vielleicht ähnliche Sprachprobleme wie der Araber in „Federding“? War auch sie pfiffiger beim Lernen als er? Das Gespräch war nun aber ja abgeschlossen, und ob bei dieser Art „Büchern“ eine Option „Verlängern“ hieß? Eher unwahrscheinlich.

Martin Hagemeyer

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