Laute Maschinen, Staub, Dreck, katastrophale Wohnsituationen und Kinderarbeit – all dies sind Aspekte der Frühindustrialisierung, die das Leben zwar einerseits vereinfachen sollte, andererseits aber auch viel Kummer und viele Krankheiten mit sich brachte. So gar nicht damit einverstanden waren zwei Herren mit unterschiedlichem Background, die doch dasselbe Ziel verfolgten: Bessere Lebensumstände für die arbeitende Bevölkerung und sowohl körperliche Gesundheit als auch geistige Weiterbildung. Gemeint sind Adolph Kolping und Friedrich Engels. Im Rahmen der Kolping-Ausstellung mit dem Titel „Auf, ihr Brüder, reicht die Hand…“ kommen vor allem Geschichtsfans auf ihre Kosten, wenn Reiner Rhefus und Heike Ising-Alms durch das Historische Zentrum Wuppertal führen und dazu Anekdoten über das Leben der beiden Revoluzzer von der Wupper erzählen. „An den Ufern der Wupper weilen keine Grazien und keine Musen“, so der Titel der Führung mit anschließender Lesung.
Es geht vorbei an alten Webstühlen und Gemälden von Friedrich Engels, während Reiner Rhefus die Kindheit des Sozialrevolutionärs rekapituliert. Als Sohn eines erfolgreichen Baumwollfabrikanten verbringt Engels seine Jugend in Barmen, dort, wo heute immer noch das sogenannte „Engelshaus“ steht.
Das Engelshaus in Wuppertal Barmen. Foto: Karin EngelsEin wenig geheimnisvoll wird es, als Herr Rhefus vom „Doppelleben“ des späteren Marxismus-Mitbegründers erzählt. Ziel des Vaters war es, dass sein Sohn eines Tages die elterliche Manufaktur übernehmen soll. Leider passte das so gar nicht in die Pläne des Sprösslings, der sich viel lieber mit Philosophie und Journalismus beschäftigte. Der Familienpatriarch reagiert konsequent und nimmt Friedrich ein Jahr vor dessen Abitur von der Schule, um ihm das Studium und somit die journalistische Karriere zu versemmeln. Doch was er nicht weiß: Engels schreibt einfach heimlich weiter. Schon damals ein echter Revoluzzer.
Einen völlig anderen Lebensweg geht Adolph Kolping, katholischer Priester und Begründer des Kolping-Werks: Aus einfachen Verhältnissen stammend, macht er zunächst eine Lehre als Schuhmacher und macht auf seiner Wanderschaft Bekanntschaft mit den katastrophalen Lebensumständen der Gesellen. Rhefus beschönigt nichts, als er von schweren Krankheiten und geistiger Verarmung spricht. Mittlerweile vor einer Wand, geziert von vielen alten Gemälden, angekommen, erklärt er, dass diese Eindrücke Grund genug gewesen seien, Kolping zur Gründung mehrerer Gesellenvereine zu bewegen.
Bei der anschließenden Lesung trägt Heike Ising-Alms verschiedene Briefe von Adolph Kolping und Friedrich Engels vor, die vor allem zeigen: Obwohl sich beide für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen, liegt der entscheidende Unterschied in der Art und Weise der Umsetzung. Engels wünscht sich, die von Pietisten durchzogene Gesellschaft zu revolutionieren, neue Strukturen sollen her! Kolping ist da etwas weniger radikal, ihm genügt es, die bestehenden Hierarchien lediglich gerechter zu machen. Unter Beibehaltung der christlichen Werte, versteht sich. Andächtig lauschend wie bei einer Märchenstunde, geht den Besuchern wohl ein Gedanke durch den Kopf: „Die haben sich was getraut damals.“
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