Spontane Umfrage in der Wuppertaler Innenstadt: Wer kann mit der Abkürzung TTIP etwas anfangen? „Hat das etwas damit zu tun, dass weniger Plastiktüten als Müll im Meer landen sollen?“, fragt eine Frau mittleren Alters. Als die Antwort negativ ist, lässt sie den Blick schweifen, kurz überlegend, und gibt schließlich auf. Ein bärtiger Herr ist zwar an dem Thema interessiert, hat aber ebenfalls keine Lösung parat. Als er erfährt, dass es sich um ein Freihandelsabkommen handelt, hat er trotzdem eine Meinung: „Das hilft doch alles wieder nur den Konzernen“, sagt er kopfschüttelnd.
Seit Mitte letzten Jahres geistert die Buchstabenkombination nun durch die Medien, aber man hat das Gefühl, so richtig erfassen können das TTIP noch nicht sehr viele Menschen. Laut der jüngsten Umfrage des Allenbach-Instituts für Meinungsforschung haben sich 41 Prozent der befragten Deutschen noch keine Meinung zu dem Thema gebildet. Verständlich. „Transatlantic Trade- and Investment Partnership“, „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“, alleine bei diesem Wortmonster ist es schon schwer, nicht innerlich zusammen zu zucken. Dennoch – fast die Hälfte weiß nichts über ein Projekt, das die Zukunft von mehr als 800 Millionen Menschen betreffen soll? Das seit mehr als 15 Monaten zwar offiziell, aber hinter Türen verhandelt wird?
„Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Januar gesagt. Schon damals musste Merkel das Riesenprojekt verteidigen, bevor es überhaupt zu Ende verhandelt war. Nach einem Leak von grünen EU-Politikern waren Details aus den vertraulichen Gesprächen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union durchgesickert. Der Plan der Partner: Die Märkte öffnen, Handelsbarrieren wie Zölle oder unterschiedliche Standards und Normen abbauen. Dadurch werde das Wirtschaftswachstum gefördert, es solle weniger Arbeitslose geben und mehr Wohlstand für alle Menschen in den beteiligten Nationen, so die Offiziellen.
Für 2015 wird der Start des Abkommens angepeilt. Ob das klappt, ist nach den jüngsten Entwicklungen ungewiss. Denn fest steht: Es war ein großer Fehler, dass Politik und Wirtschaft dachten, sie könnten das Freihandelsabkommen im stillen Kämmerlein durchdiskutieren und anschließend -winken. Nur wenige Beamte kannten den Stand der Verhandlungen, ehe ihnen die undichte Stelle einen Strich durch die Rechnung machte und erste Unterlagen veröffentlicht wurden. Was folgte, war Verunsicherung. Genmanipulierte Lebensmittel und mit Chlor behandeltes Fleisch könnten nach der Verabschiedung des Abkommens aus Amerika importiert werden, sagen die Kritiker.
Außerdem bekämen die Konzerne (einmal mehr) zu viel Macht, schimpfen sie. Teil des Abkommens sei die Einführung von Schiedsgerichten. Über diese von der staatlichen Justiz abgekoppelten Gerichte könnten Unternehmen Staaten auf Schadensersatz verklagen, wenn durch Gesetze der Gewinn des Konzerns beeinträchtigt wurde – Investitionsschutz genannt. Ein ähnliches Beispiel ist der Prozess des Vattenfall-Konzerns, der die Bundesregierung auf Zahlung von mehr als vier Milliarden Euro verklagt hat. Vattenfall musste nach der Fukushima-Katastrophe die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel abschalten und hat damit Verluste eingefahren.
Die Zustimmung der europäischen Bürger für das TTIP ist laut Umfrage der Bertelsmann-Stiftung auf 53 Prozent gesunken. Auch lokal formiert sich nicht zu überhörender Widerstand. Auf Initiative unter anderem der Wuppertaler attac-Gruppe hat sich das „Wuppertaler Aktionsbündnis gegen TTIP“ gegründet. Die Gegner des Abkommens sind sich sicher: Was weltweit verhandelt wird, hat ebenso starken Einfluss auf das Leben im Bergischen Land wie in Brüssel oder Washington. Entsprechend will sich das Bündnis beim Aktionstag am 11. Oktober auch in Wuppertal präsentieren und die Bevölkerung für das Thema sensibilisieren.
Bereits im Februar hätte das Thema auf den (Rats-)Tisch kommen können. Ein Antrag der Linken-Fraktion lag vor. Tenor: Die Verwaltung solle sich über die „Konsequenzen des Freihandelsabkommens TTIP für Wuppertal“ schlau machen. Am 24. Februar lehnte der Rat gegen Stimmen der Linken und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen allerdings ab.Da sich die Stadtspitze nun seit mehr als einem halben Jahr nicht offen mit dem Thema befasst, ist es Zeit für Arbeitskreise und Einzelkämpfer. Das ist nicht immer positiv.Menschen, die oftmals Laien sind, vergrößern manchmal unbewusst ihre eigenen Ängste und auch die Sorgen anderer.
Unabhängig davon, ob das Freihandelsabkommen TTIP richtig oder falsch ist, ob es einen Gewinn bedeutet oder einen Verlust, ist es das, was der Politik vorzuwerfen ist: Nicht schon längst aufgeklärt zu haben.
Aktiv im Thema
www.bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/ttip.htm
ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/index_de.htm
www.attac.de/ttip | www.campact.de/ttip | www.ttip-unfairhandelbar.de
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: choices.de/thema und trailer-ruhr.de/thema
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