Carlo Goldoni gilt als genialer Lustspieldichter. Es gibt gute Gründe, sein unsterbliches Meisterwerk „Trilogie der Sommerfrische“, 1761 entstanden, in den aktuellen Spielplan aufzunehmen. Goldoni riss Konventionen nieder und stellte die einfache Frage: Wie ist es wirklich? Was müssen die Figuren auf der Bühne sagen, tun und leiden, damit unsere Zeit sich selbst verstehen lernt? Das ist zeitlos und ewig wahr.
Zunächst erzählt das dreiteilige Stück von zwei Familien, die miteinander in Urlaub fahren. Schnell wird klar, dass der vordergründig coole Top-Checker Leonardo (Heisam Abbas) in der Klemme steckt, genau genommen so etwas wie einer Zwickmühle aus Liebeshändeln und monetären Nöten. Deshalb mag Leonardo die reiche Bürgertochter Giacinta (Hanna Werth) nicht nur uneigennützig reinen Herzens, die Hochzeit soll ihn vorm Bankrott und retten. Der Plan: zunächst in die repräsentative Sommerfrische, dann saniert durchstarten. Aber bei der Landpartie gibt es noch andere mittellose Mitgiftjäger, habgierige Hasardeure sowie leidenschaftlich Liebende. Guglielmo (Jakob Walser) beispielsweise, der sich in Giacinta verguckt. Leonardos Schwester Vittoria (Juliane Pempelfort) wiederum hat Interesse an Guglielmo und am Ende sind einige aus dem liebes-und geldtollen Dutzend bestens versorgt. Pekunär, das Herz bleibt leer.
Geld als Lebenselixier
Volle Herzen, leere Portemonnaies oder umgekehrt? Liebe und Geld scheinen im Stück die beiden elementaren menschlichen Antriebkräfte zu sein. Seit Beginn seiner Schauspielintendanz an den Wuppertaler Bühnen thematisiert Christian von Treskow immer wieder das übergeordnete Bild vom abstrakten Geld. „Das Geldsystem scheint so etwas wie ein Betriebssystem zu sein.“ „Eine Billionen Dollar“, „Der Kirschgarten“, „Die Dummheit“ oder „Die Kontrakte des Kaufmanns“ sind Theaterstücke, die er dazu bereits realisierte – „der Einfluss des Geldes auf Befindlichkeiten des Menschen“, sagt er, „ist nicht erst seit der Krise der Finanzwirtschaft interessant. Es ist ein Thema des Kapitalismus.“ Weshalb es für ihn spannend ist, auf der Bühne immer wieder Momente und Emotionen zu zeigen, die durch Geld ausgelöst werden.
„In die Sommerfrische ging man nicht nur, um sich zu erholen. So entfloh man seinen Gläubigern“, erklärt er die damalige Gerichtsbarkeit des alten Venedigs. Das sozial ungestörte Leben inklusive Prestigestreben pflegte die Gesellschaft in ihren Palazzi vor den Toren der Stadt, hier verlobte und verheiratete man sich, Mitgiften wurden gegen Schulden aufgerechnet, führt der Regisseur aus.
Tragisch-komisch, temporeich-rhythmisch
Damit diese Geschichte Schwung und Rhythmus hat, begann für den Regisseur die Arbeit lange vor der ersten Probe mit seinem Ensemble durch „massives Einkürzen des Textes“. „Die Vorbereitung und Komprimierung war ein wesentlicher Bestandteil“, in akribischer Detailarbeit strich er weite Passagen des im Original manchmal ausufernden Werks. „Die Figuren erklären sich oft selbst, sagen, was sie machen oder als nächsten machen wollen.“ Für ein stärkeres Erzähltempo filterte er also das Wesentliche heraus. Eine „Aufgabe, die Zeit und Geduld braucht“, weshalb sich der Familienvater sogar eine Woche in einem Hotel einquartierte, um konzentriert 14 Stunden am Tag an der Bühnenfassung arbeiten zu können.
Goldoni versteht es meisterhaft, unter der Oberfläche Gemeinheiten und psychologische Brutalität herauszuarbeiten, erklärt Christian von Treskow. Das Stück spielt bei ihm vor einer „bewusst theatralischen Kulisse, bei der wir uns von der Theaterarchitektur Norditaliens haben inspirieren lassen“. Dazu hat Kostümbildnerin Dorien Thomsen in Anlehnung an historische Rokoko-Bildwelten schrill-bunte Kleider und Anzüge entworfen. „Sehr historisierend, aber nicht historisch, sondern eklektisch und nach heutigen Maßstäben konstruiert.“ Die Männer zum Beispiel laufen auf hochhackigen Schuhen, immer gespreizt und ballettös, rüschenselige Reifröcke und unglaubliche Turmfrisuren schmücken die Frauen.
„Trilogie der Sommerfrische“ von Carlo Goldoni I R: Christian von Treskow I 11.10. (P) 19.30 Uhr/13.10./21.10./26.10./31.10. I Opernhaus Wuppertal I www.wuppertaler-buehnen.de
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