Geld macht schön. Diese Lebensweisheit ist zeitlos, wird in jedem Celebrity-Journal immer wieder bewiesen. Reichtum gilt als erstrebenswertes Ziel. Davon sind die Personen im heruntergekommenen Hotel in Ödön von Horváths Dreiakter „Zur schönen Aussicht“ weit entfernt. Endlos weit. Sie vertreiben sich die Zeit, haben aber einen zahlungskräftigen Dauergast, der sie als Sklaven behandelt. Martin Kloepfer inszeniert an der Wuppertaler Oper die Komödie des österreichisch-ungarischen Schriftstellers (1901–1938). Die Geschichte um Geld, Macht und Liebe wurde 1926 geschrieben, aber erst 1969 in Graz uraufgeführt.
Volkstheaterhaft, milde modernisiert, aber mit einem schönen Hotel-Bühnenbild, wo nichts mehr vorzeigbar scheint, nicht einmal die schöne Aussicht, die ein riesiger Pappkarton zu sein scheint, der nichts verhüllt, weil ohne Inhalt. Urlaubsdias gaukeln vergangene Freuden vor, zu Beginn wird am Panorama filmisch noch ein bisschen ausgebessert, doch die Holzdielen im Restaurant haben sich längst vor Feuchtigkeit hochgebogen. Im Hintergrund säuselt der „Hotel California“-Riff.
Hier prallen die Versager aufeinander, balgen sich um Gunst und Geld, müssen sich von Ada, Freifrau von Stetten (Sophie Basse), erniedrigen lassen. Selbst ihr Bruder Emanuel, der abgehalfterte Freiherr, rutscht vor ihr im Staub. Kloepfer mischt das alles ziemlich surreal, baut choreografische Personenführung mit Slapstick und Situationskomik. Dazu treffen Diener mit roten Fußnägeln auf überdrehte Adlige mit Höhenangst und latenter Spielsucht, und das, während im Hintergrund Fahnen vorm Gebirge wehen. Alle sind nicht koscher, der Chauffeur (Heisam Abbas) vorbestraft, der Kellner ein Künstler, auf der Speisekarte stehen vielleicht sogar Krücken.
Aber das Ensemble erzeugt auch wunderbare komödiantische Momente der Stille, obwohl die Strasser (Holger Kraft), der Besitzer des Hotels, nicht gebrauchen kann: Keine Gäste, kein Geld, nicht einmal den Sekt von Vertreter Müller (Hendrik Vogt) kann er bezahlen. Und dann taucht der Katalysator auf, der Zünder für die Explosion der fragilen Zwangs-Gemeinschaft: Christine (Anne-Catherine Studer) kommt – und gleich mit Gott im Schlepptau. Einst war sie Gast, dann Geliebte des Chefs, dann Mutter seines Kindes. Sie schrieb Briefe, die alle lasen, Strasser aber nie beantwortete. Nun will sie ihn zurück, das Hotel übernehmen und wieder aufmöbeln. Strasser wehrt sich, die Gruppe macht Christine nicht nur verbal nieder, die Freifrau von Stetten will sowieso keine Konkurrentin. Als sich dann aber herausstellt, dass Christine Geld geerbt hat, liegt die verrohte Männerwelt in Trümmern, die erbärmlichen Existenzen buhlen säuselnd um sie. Das ist ein Fest für die Schauspieler, und Kloepfer lässt sie genüsslich machen. Jeder versucht nun auf seine Weise, am christlichen Reichtum Christines, die unter Gottallerdings zehntausend Euro versteht, zu partizipieren.Ada geht derweil auf ihr Zimmer – mit einem Revolver. Ach Ödön.
„Zur schönen Aussicht“ I 5.7. 19.30 Uhr I Oper Wuppertal I 0202 563 76 66
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