„Ein gemeinschaftliches Teilversagen“, so lautete eine Formulierung, mit der Helge Lindh seine Analyse auf den Punkt brachte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete ist ebenso kluger Kopf wie eloquenter Redner. Bei der Politischen Runde in der Elberfelder Volkshochschule gab es Kostproben von beidem, auch wenn zuweilen mehr das Verkopfte durchklang. Versagen attestierte er Politik wie Medien darin, „Politik zu erklären“, das sei der Nährboden für Misstrauen, das dann immer wieder auch in offenen Hass umschlage.
„Demokratie in Gefahr?“ fragte der Titel des Abends. Als Einstieg hatte Gastgeberin Michaela Heiser den aktuellen Fall Renate Künasts gewählt, bei dem das Berliner Landgericht kürzlich auch übelste Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin noch als polemisches Stilmittel eingestuft hatte. Hass und Beleidigungen nähmen immer mehr zu, so Heiser. Helge Lindh empfahl Politikern wie sich ein Gegenmittel: Darlegen, warum man wie entscheidet, und dazu stehen.
Doch Lindh ist nicht naiv, was die Strategien der radikalen politischen Gegner anbelangt: zuletzt fiel er im Bundestag mit seiner Darstellung zum „AfD-schen Dreisatz der Volksverdummung“ auf: 1. Bruchstellen nutzen, 2. antifaschistische Strukturen schwächen, 3. von eigener Verantwortung ablenken, wie im Mordfall Lübcke. Ähnlich strukturierte nun in der VHS zur Art besagter Verbalattacken – wieder in drei Stufen: 1. Reaktionen auf öffentliche Äußerungen („das ist Dreck“, „du betreibst den Untergang Deutschlands“), 2. persönliche Beschimpfungen (Aussehen, Gestus), 3. Gewaltandrohung. Stufe Drei habe es bei ihm bisher „nur“ per Post statt online gegeben, Stufe eins sei gar „im Normbereich“.
„Warum trifft es gerade Politiker?“, war dann eine Frage an Lindh, der mit seiner Antwort die Richtung vorgab: „Politiker gehören zu den unbeliebtesten Gruppen.“ Und später: „Ganz besonders unbeliebt sind Vertreter der so genannten Altparteien.“ Besagtes „Teilversagen“ zu verantworten haben demnach die Politik, aber, Stichwort „gemeinschaftlich“, auch die Medien.
Am Beispiel des geplanten Klimapakets führte der SPD-Politiker aus: Es sei die falsche Strategie, streitbare Beschlüsse wie diesen zuletzt künstlich und wider besseres Wissen als Ideal zu verkaufen, dabei eigene Erfolge zu preisen und mit „besten Ergebnissen“ zu prahlen. Lindh deutlich: „Das ist geradezu suizidal.“
Ganz harmonisch verlief der Abend auf dem Podium nicht: Die Gastgeberin drückte aufs Tempo, der Gast beklagte das „Diktat“. Schon zuvor gab es ein paar Misstöne (Lindh zu Heiser: „Das ist nicht ganz dumm.“ - Heiser: „Ach!“). Doch am Ende schloss Heiser wie zur Versöhnung: „Sie haben vorgeführt, wie man argumentiert, dafür danke ich Ihnen sehr.“ In der Tat: Ein glücklicher Moment dieser Politischen Runde schien auf, als Lindh quasi eigenmächtig vom Protokoll abwich – und der Sache damit gut tat. Als nämlich eine Zuschauerin gewiss nicht ganz linienstreng das Ja des Abgeordneten zum Migrationspaket kritisierte, griff der das auf, ignorierte Heisers Ordnungsruf und gab ein Beispiel fürs Erklären, wenn auch mehr strategisch: In der Politik seien Kompromisse wie dieser unvermeidlich. „Es gab keine andere Alternative als diese Paketlösung.“ Gleich ob oder wie sehr das befriedigte: Ad hoc bot der Exkurs eine kleine Illustration dessen, was sich als Linie des Abends herauskristallisiert hatte: Zu Beschlüssen stehen und das ausführen. Dem zollte die Moderation dann offenbar Respekt.
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