Zu den Absurditäten der Massenmobilität gehört auch nach über hundert Jahren Fahrzeugbau, dass locker eine Tonne Automobil oder mehr bewegt werden will, um einen 75-Kilo-Menschen von A nach B zu bringen. Strom-Autos machen da (noch) keine Ausnahme - im Gegenteil: Wegen ihrer Speicherbatterien fallen sie eher gewichtiger aus. Dabei fängt Elektromobilität ganz leicht an …
„Berge sind keine Berge mehr. Gegenwind und lange Strecken schrecken nicht.“ Die komprimierte Erfahrung des Dortmunders Martin Behrs machen gegenwärtig Tausende Menschen täglich neu. Nach kurzem Anlauf rollt das stromunterstützte Fahrrad jetzt auf der Siegerpiste - laut Schätzung des ADAC sind im vergangenen Jahr in der Republik rund 120.000 „Pedal Electric Cycles“, kurz: Pedelecs, verkauft worden. Bei den ersten Lebensmittel-Discountern stehen sie schon neben den Kühlregalen. Anders als bei E-Bikes mit „Gasgriff“, für die man Kennzeichen und Helm benötigt, will das Pedelec getreten sein, damit die Stromunterstützung einsetzt (und übrigens bei 25 km/h wieder aussetzt). Im Vergleich zu den so schnell nicht erhältlichen Batterie-Smarts und Minis erfolge hier der Einstieg in die Elektromobilität „vergleichsweise im Taschengeld-Bereich“, meint Behrs und wirft einen Blick in japanische Stadtlandschaften: „Da fahren mittlerweile 27 Prozent mit dem E-Fahrrad zur Arbeit. Im Anzug. Und sie schwitzen nicht.“
Taschengeld - na ja: Wer sich im Revier zum Radhändler des Vertrauens aufmacht, muss kalkulieren, anschließend 1.500 bis 3.000 Euro leichter geworden zu sein, um ein schickes neues Pedelec nach Hause lenken zu können. Immer noch zu viel, befand Elektroingenieur Behrs. Zusammen mit Wolfgang Rode, den er über das Netzwerk „ruhrmobil-E“ kennenlernte, macht er jetzt eine echte Taschengeld-Lösung populär. Die beiden Elektro-Fans organisieren Events, bei denen vorhandene konventionelle Drahtesel per Vorderradnaben-Motor auf den Strom-Zusatzantrieb umgerüstet werden. Dreimal statteten sie bereits - teilweise recht publikumswirksam vor dem Bochumer Rathaus - mehrere Dutzend Velos mit dem Rückenwind aus dem Akku aus. Fahrradfahren 2.0 kostet auf diese Weise einen Aufschlag von 350 oder 600 Euro, je nachdem, ob Blei- oder Lithium-Akku, ob 40 oder 80 Kilometer Reichweite. Und danach? Eine Kleinigkeit, meint Martin Behrs: „Mit Haushaltsstrom für 19 Cent fahre ich 100 Kilometer.“
Okay. Stellen wir uns also den Anzug-Angestellten vor, der mit Arbeitstasche, Pausenbrot und Laptop von Wattenscheid in das Essener City-Büro radeln will. Und es regnet. Der Mensch wird zum Fall für Daniel Backwinkel, ebenfalls Mitstreiter im ruhrmobil-E-Netzwerk. Früher Bankkaufmann, hat der Wittener auf Fahrradbau und -vertrieb umgesattelt. Der 31Jährige pflegt zudem eine enge Kooperation mit der Hochschule Bochum, wo man schon Solarmobile wie den „BO-Cruiser“ mit internationalem Erfolg zusammenschraubte. Und das hatte Folgen.
Bindeglied ist unter anderem Michael Harst (31). Für seine Bachelor-Arbeit entwarf der angehende Maschinenbauer dem Liegerad-Spezialisten Backwinkel eine Glasfaser-Hülle, die momentan auf Bochums Straßen für Aufsehen sorgt: stromlinienförmig - und dank E-Antrieb ziemlich flink. „Den Einstieg müssen wir ändern, Licht und Blinker kommen auch noch dran“, beschreibt Harst die nächsten Arbeitsschritte: „Und eine kleine Windschutzscheibe. Aber im Prinzip sind wir höchstens noch 20 Prozent von der Serienreife entfernt.“ Im Sommer soll es soweit sein.
Den Praxistest haben elektrifizierte Liegeräder längst bestanden. Allein von Witten sind mehr als hundert Exemplare in die Republik und einige europäische Nachbarländer ausgeliefert worden. Teilweise sogar an Menschen mit Behinderungen, denen das Dreirad wieder Mobilität verschafft - mit dem Stromverbrauch einer durchschnittlichen Glühlampe. Auf seiner „Outdoorexperts“-Webseite ist Backwinkel gar zu sehen, wie er mit dem Elektrovehikel den gefürchteten Tour-de-France-Bergaufstieg Alpe d’Huez erklimmt.
Vollverkleidete „Velomobile“ gelten zwar nicht als Neuigkeit - in kleineren Pedalo-Zirkeln fährt man Liegeräder mit selbstgebauter Verschalung bereits seit zehn Jahren. Backwinkel und Harst haben sich jedoch eine modulare Bauweise zum Ziel gesetzt: Liegerad, Liegerad mit Elektro-Unterstützung, wetterfester Tret-Stromer. Bei sommerlicher Witterung soll zudem die Verkleidung abnehmbar sein. Statt des Gepäckfachs sorgen dann zwei 20-Liter-Satteltaschen dafür, dass nicht nur der Laptop mit ins Büro fährt, sondern auch am Feierabend vor dem Supermarkt angehalten werden kann. Eine echte Innovation, schwärmt Daniel Backwinkel, sei allerdings ein Nutzlast-Dreirad, das er parallel in Arbeit hat: „Es wird 200 bis 300 Kilo Ladekapazität haben, das ist ein Drittel von einem Auto. Und es geht geil ab!“
Kontakte: info@ruhrmobil-E.de
www.outdoorexperts.de
*„Noch sind es Nischen, aber die Neuen kommen. Sie heißen: Zero, Mia, Vito, iOn oder Greenster und sollen noch in diesem Jahr auf deutschen Straßen fahren, Volt, e-tron, Megacity, e6, 200C EV, Focus EV, Transit EV, i10 EV, E3, E-Cell, Leaf, Twizy/Fluence/Kangoo Z.E., Fortwo ED, FT EVII, E-up! oder Golf EV und fahren später los - aber warum wird der Ampera in den USA gebaut und nicht im Ruhrgebiet?“
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