Bettina Flitner ist eine mutige Frau. Sie hat im Kongo fotografiert und in der Szene der Neonazis, jetzt hat sie den Freiern in einem luxuriösen Wellness-Bordell die Zunge gelöst, mit der Frage: „Warum sind Sie hier?“. In der Redaktion des STERN hatte man ihr prophezeit, dass so etwas niemals funktionieren würde. Warum sollten die Freier reden? Während der Reportage stellte sich dann schnell heraus, dass nur die ausländischen Freier Reißaus nahmen. Die Offenheit, mit der die deutschen Männer zwischen 23 und 73 über ihre Erfahrungen und Vorlieben sprechen, mag von Angeberei zeugen, aber die Gespräche mit Bettina Flitner versachlichen auch manche Aspekte der Geschlechterverhältnisse.
Im Bordell wird aus der sexuellen Frustration der Männer und der Not der Frauen – meist Osteuropäerinnen, die sich in der Gewalt von Zuhältern befinden – die Allianz der Prostitution geschmiedet. Bettina Flitner rückt die Realität dieser Welt an uns heran, indem sie ihre Körperlichkeit zeigt. Die Männer treten uns fast nackt gegenüber. Auf der Bettkante sitzend, blicken sie uns frontal entgegen. Die vergrößerten Bilder werden im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln in der Galerie der Laif Agentur gezeigt. Das Licht in dem backsteinroten Kellerraum, kommt dem plüschigen Rot des Bordellzimmers, in dem sie geschossen wurden, sehr nahe.
Bilder haben die Angewohnheit, zurückzuschauen, während sie betrachtet werden. Ein Aspekt, der in dieser Serie zum zentralen Thema wird. Die Männer schauen uns an, und es stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir es denn eigentlich mit unseren sexuellen Bedürfnissen halten. Eine Frage, die erst recht durch die kurzen Textzitate aufgeworfen wird, in denen die Freier Bettina Flitners Frage beantworten. Das Projekt stellt sich denn auch nicht als Sozialreportage dar, sondern reflektiert die Ambivalenz seines Themas. Man erhält eine Ahnung von der zementierten Verachtung, die in der sexuellen Ausbeutung als einer modernen Form der Sklaverei liegt. Andererseits verbirgt sich im Sujet stets die archetypische Phantasie einer verlockenden Bordellsituation. Bettina Flitner beschreibt denn auch anschaulich die Situation, in der die Männer im Kontakthof in winterlich dicken Mänteln gekleidet sind, während die Frauen ihnen nackt auf High Heels begegnen.
Bettina Flitner treibt das Spiel sogar um eine Drehung weiter, indem sie sich selbst nicht ausnimmt von dem Vexierspiegel der Prostitution. Sie, die von außen kommt, scheinbar nur als Beobachterin, wird bald als „das Mädchen vom STERN“ im Haus geführt. In ihrer brillant geschriebenen Reportage „Meine Tage im Puff“, in der sie die Entstehung der Bildserie beschreibt, lässt sie sich sogar mit einem Freier fotografieren. Sie negiert ihre Rolle als Frau nicht, auf die sich die Begierde der Männer richtet. Das, was sich zwischen Männern und Frauen abspielt, steckt voller Widersprüche, die will sie nicht durch demonstrative Political Correctness glattbügeln.
Und weil sie diese Situation, in der Männer Frauen kaufen, nicht voreilig mit Etiketten versieht, öffnet sich das Sujet auch der Tatsache, dass es diese Situation schon so lange gibt, wie menschliches Zusammenleben in Gruppen existiert. Dass Deutschland den zur Zeit freizügigsten Umgang mit der Prostitution in Europa pflegt, ist allerdings weniger der verantwortungsvollen Liberalität als vielmehr den ökonomischen Interessen des Staates geschuldet. Bettina Flitners Bildserie dringt bis ins Mark unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses vor, und sie regt dazu an, mutig in den Diskurs der Geschlechter einzusteigen.
Freier | bis 10.10. 2014 | Laif Galerie | Köln Merowinger Str. 5-7
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