Das Motto von „(M)EIN NEUER TAG“ ist mit gutem Grund, die Jungen und Mädchen ohne weitere Eingrenzung als „willkommene Gestalter“ zu sehen, als „aktive, ernst genommene Persönlichkeiten“. Das Projekt ist Teil des vom Land NRW mitgetragenen Programms „Kulturrucksack“, das seit 2012 bunt gemischte Aktionen und Workshops für Kinder und Jugendliche veranstaltet. Dagmar Beilmann zeichnet sich als Beauftragte verantwortlich für die Wuppertaler Ausgabe und gewinnt auch immer neue Akteure aus der freien Szene als Kursleiter. Sie ist festes Teammitglied des Kulturzentrums „die börse“, wo auch viele Kurse eine Abschlusspräsentation zeigen.
Hier nun sorgt Beilmann für die Kooperation zwischen „Hebebühne“ und Helmholtz-Realschule. Die dortige Klasse für „Sprachseiteneinsteiger“ besuchen Kinder, die nach der amtlichen Wohnungszuweisung aus halb Wuppertal in die Nordstadt kommen. „Anders als bei anderen Projekten konnten wir diesmal natürlich nicht mit Schuljahresbeginn anfangen“, erinnert sie an die besondere Situation der Teilnehmer: Im Lauf der letzten Zeit sind die Familien zugewandert, aus verschiedenen Gründen und aus Bulgarien und Serbien ebenso wie aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Und jetzt also gab es den Vorschlag: Macht mit, zeigt mit Kamera euer Leben im Tal.
„Einige haben gleich abgewunken“, berichtet Caroline Schreer, zusammen mit Nelly Köster Leiterin des Angebots. Nicht zu verwunderlich, denn ein Programm stand bevor, das eine Reihe klarer Arbeitsschritte vorsah und zudem recht Persönliches verlangte. Heißt sicher aber auch, anders als oft bei Pflichtkursen per Stundenplan: Wer mitmachte, wollte es auch, hatte den Wunsch, sich zu präsentieren. Nicht das eigene Konterfei war dabei gefragt, sondern Motive nach freier Wahl, die typisch sein sollten für die Lebenswelt der Einzelnen.
Jede Teilnehmerin, jeder Teilnehmer bekam eine Schwarz-Weiß-Kamera, um eine Anzahl verschiedener Ansichten aus ihrem Umfeld auszuwählen und zu fotografieren. Bei der Sichtung fiel ein Teil mangels technischer Erfahrung heraus, und aus dem Rest wählte jeder sein Lieblingsbild. Als S/W-Großformate ausgestellt sind diese Fotos jetzt in der „Hebebühne“ in der Mirker Straße. Die Ausstellung ist damit wenige Minuten von der Schule entfernt; zur Eröffnung sind die Kinder gleich vom Unterricht gekommen, um das eigene Werk der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Das Ergebnis zeigt: Was das Hiersein der jungen Menschen ausmacht, spiegelt nicht immer plakativ die Situation als Migrantenkind. Details aus der eigenen Wohnung sind ebenso dabei wie Straßenzüge; diese konkret zu verorten, ist natürlich möglich, aber nicht intendiert. Der Ort mag das unterstützen: Vielleicht kann man sagen, dass die „Hebebühne“ mit ihrer kargen Optik als frühere Tankstelle Abstraktion ebenso verlangt wie auch ermöglicht.
Ritaj hat sich für ein Stück Kuchen entschieden, das den Großteil ihres Bildes auf den weißen Wandkacheln einnimmt. Auf einem anderen Bild ist zentriert eine Vase zu sehen – Muhammeds lakonischer Untertitel: „Diese Vase steht bei uns.“ Joudy hingegen zeigt einen Blick in ihre Wohngegend, wohl in der Südstadt und anscheinend mit Interesse an Symmetrie. Tatsächlich, ihr ungewöhnlicher Kommentar lautet: „Ich mag, dass die Häuser alle gleich sind.“
Überhaupt gibt es kleine Überraschungen zu erleben – in Auswahl wie Anmerkung. Nicht nur dass die beliebte Holsteiner Treppe, per Ranking neuerdings sogar weltweit wahrgenommen, in Milkas Objektiv eher trist wirkt – die Fotografin konstatiert auch wenig euphorisch: „Die Treppe ist so schwer.“ Und spätestens wenn sich zu Elenas Satz „Das ist mein Lieblingsplatz“ die Brücke am nicht eben gut beleumundeten Berliner Platz erkennen lässt: Dann wird klar, dass beim ganzen Projekt die Individualität im Mittelpunkt steht, die persönliche Wahrnehmung vom Ort aus – nicht wie mehrheitsfähig der Blick ist. Gut so – und sehenswert.
Die Ausstellung ist noch diese Woche nach Absprache zu sehen: info@hebebuehne-ev.de
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