engels: Herr Caliș, Sie haben sich als Regisseur am Theater, beim Film und im Fernsehen über die Jahre einen Namen gemacht. Ist der „Tannhäuser“ in Wuppertal nun Ihre allererste Oper?
Nuran David Caliș: Es ist für mich die erste klassische Opernproduktion, also eine Inszenierung, in der überhaupt nicht gesprochen wird, sondern nur gesungen wird. Ansonsten gab es schon Produktionen, bei denen ich viel mit Musik und Gesang gearbeitet habe. Wir haben etwa für die Nibelungenfestspiele in Worms die Götterdämmerung bearbeitet. Aber als ganz klassische Opernregie ist es tatsächlich das erste Mal.
Wie ist es dazu gekommen?
Es ist jetzt die erste Arbeit an einer Oper, aber es war nicht die erste Anfrage. In den letzten Jahren haben sich die Anfragen regelrecht gehäuft, an verschiedenen Häusern eine Oper zu machen. Ich war bisher immer noch sehr vorsichtig, weil mir der Gesamtrahmen – also: Wer ist der Dirigent? Wer ist der Intendant? – gefallen muss. Das sind schon wichtige Entscheidungskriterien. Mit wem will man das so machen? Als Berthold Schneider, der Wuppertaler Intendant, dessen Arbeit ich schon seit mehreren Jahren verfolge, gesagt hat: Der Patrick Hahn kommt als Generalmusikdirektor nach Wuppertal, da wusste ich: Da passt es. Patrick ist ein Genie. Da habe ich die Chance, mal in zehn Jahren, wenn seine Karriere durch die Decke gegangen ist, zu sagen: Da war ich dabei, bei seiner ersten Arbeit! Das war das ausschlaggebende Kriterium für mich.Dann haben wir uns kennengelernt, in einer Dreierrunde. Und auf einmal passte alles zusammen. Auch, dass wir an dem Tannhäuser arbeiten wollten. Die gemeinsame Herangehensweise hat total für mich gepasst.
„Seelenlandschaft eines gescheiterten Lebens“
Haben Sie eine besondere Beziehung zu Richard Wagner?
Für einen theaterschaffenden Menschen ist Wagner allgegenwärtig. Eine besondere Beziehung habe ich natürlich auch durch meine Ring-Bearbeitung und dadurch, dass ich 2016 und 2017 zwei Jahre hintereinander als leitender Regisseur bei den Nibelungenfestspielen in Worms tätig war. An der Götterdämmerung habe ich tiefer gearbeitet. Wagner war nicht nur als Musiker ein Genie, auch als Dramatiker war er ein sehr starker Autor, der Figuren mit sehr viel Schuld und sehr viel Last ausstattet. Die Kraft, die daraus erwächst, findet sich im Tannhäuser so richtig im dritten Akt: in der Seelenlandschaft eines gescheiterten Lebens.
Als Schauspiel- und Filmregisseur sind Sie bereits sehr unterschiedliche Arbeitsweisen gewohnt. Ist die Arbeit mit Opernsängerinnen und -sängern nun etwas Neues?
Oper kommt dem Kino sehr nahe. Man erzählt viel in Bildern. Und auch der Herstellungsprozess ist dem Kino gar nicht so unähnlich: mit der akribischen Vorbereitung, weil ja auch so viele verschiedene Komponente beteiligt sind –die verschiedenen Musiker, die verschiedenen Sänger alle aufeinander abzustimmen. Und nach dieser gründlichen Vorbereitung geht es mit dem ersten Probentag dann auch sofort richtig los. Das gefällt mir sehr, diese Arbeitsweise. Die meiste Solisten können schon zu Probenbeginn ihren gesamten Text. Und als Regisseur kann man ab der ersten Probe schon ins Gestalten reingehen. Und schon jetzt nach zwei Wochen –selbst wenn ich jetzt aus irgendeinem Grund nicht mehr weitermachen könnte – könnte ich sagen: Es ist bereits eine sehr schöne Arbeit.
„Oper hat alles, was auch das Kino in sich hat“
Das Genre Oper ist emotional stark und hat eigentlich alles, was auch das Kino in sich hat. Die Wagner-Musik mit ihren emotionalen Abgründen – Höhen wie Tiefen – hat schon alles an Größe und Überhöhung, was man braucht. In der Probenarbeit wird das schon sehr schnell sichtbar.
In Ihren biografischen Angaben wird eigentlich immer darauf abgehoben, dass Sie einen armenisch-jüdischen Migrationshintergrund haben. Spielt der jüdische Teil Ihrer Familiengeschichte eine Rolle für Ihre Sicht auf den Antisemiten Wagner?
Auch losgelöst von meinem kulturellen Hintergrund spielt Antisemitismus für mich als Künstler immer eine Rolle. Als wehrhafter Künstler versuche ich mich bei jeder Gelegenheit gegen Rassismus und Antisemitismus zu positionieren und damit sichtbar zu sein. Wagner ist in seiner Persönlichkeit natürlich nicht unproblematisch. Eine Frage stellt sich nun allerdings: Gehört das jetzt auch in den Abend mit hinein? Oder nicht? Wenn wir uns jetzt über Wagner unterhalten, müssen wir auch über seinen Antisemitismus reden. Aber ich weiß noch nicht, inwieweit diese Regiearbeit auch diese Auseinandersetzung sichtbar machen wird. Ich liefere ja keinen Kommentar zum Tannhäuser ab. Ich habe auch keine Fehde mit Wagner. Das überlasse ich vielleicht lieber den Wissenschaftlern. Vielleicht auch Aktionskünstlern. Aber ich bin am Ende doch viel mehr Künstler als Aktivist. Ich versuche, eine Erzählung auf die Beine zu stellen.
„Die Geschichte vom Tannhäuser passt in jede Zeit rein“
Sie haben in der Vergangenheit aber auch immer wieder betont, wie wichtig es für Sie ist, aktuelle politische Verhältnisse in Ihren Inszenierungen widerzuspiegeln.
Ja. Der Tannhäuser ist auch in einer Welt verankert, die ich aus meiner eigenen Gegenwart kenne. Ich versuche, die Welt, in der sich das abspielt, so zu definieren wie die Welt, in der ich auch lebe. Die Geschichte vom Tannhäuser hat etwas Zeitloses, und deshalb passt sie auch in jede Zeit rein, weil der Grundkonflikt eine tiefgehende Parabel ist. Das kann in Südkorea in einem Atombunker genauso gut spielen wie in einer Raumstation. Du wirst nie den Kern der Geschichte zerstören können. Das geht mit allen Werken von Wagner. Die haben einen so starken Kern, der lässt sich eigentlich nicht aufbrechen.
Wo wird denn in Wuppertal die Geschichte spielen?
Für mich gibt es immer einen Satz oder eine Szene in einem Stück, die für mich den Funken überspringen lässt. Wenn der Sängerkrieg im zweiten Akt, vierte Szene, beginnt, tritt als erster Wolfram auf und singt: „Dieses deutsche Land… Ich rieche die Wälder, die Eiche...“ Da dachte ich: Das ist es! Und ich habe mich gefragt: Wie sähe das heute aus, so ein Sängerkrieg? In einem Berliner Kiez wie um den Kotti – das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg –, in St. Georg in Hamburg oder in Köln in der Keupstraße? Wenn es dort ein Fest gibt, das sich in der Straße abspielt, ist das divers, queer und bunt. So ein Ort hat sicher auch seine Abgründe, aber es gibt den Moment, in dem alle gemeinsam zusammenstehen mit ihren Flaggen und ihren ethnischen Zugehörigkeiten.
„Im Hinterhof ist der Venusberg, also das Rotlichtviertel“
Und dann sitzt da der Wolfram und besingt „dieses Deutschland“. Ich will damit zeigen, dass die Gesellschaft bereits viel weiter ist, als es die politischen Debatten und insbesondere die rechten Parteien erscheinen lassen. Da sind wir viel weiter. Das sieht man ja auch in Wuppertal ganz stark. Der Alltag ist ja wahnsinnig divers.Wir beschränken die ganze Welt, die Wagner beschreibt, auf zwei Häuserblocks und einen Straßenzug, in dem alles konzentriert ist. Und im Hinterhof ist der Venusberg, also das Rotlichtviertel. Tagsüber sieht man die Fassaden, nachts den Hinterhof – das Vergnügungsviertel. Und es findet alles dort statt: die ganze Welt. Raum und Zeit, die bei Wagner gerne mal gedehnter sind, schieben wir ineinander, machen es konkret in Raum und Zeit und Handlung. Wir versuchen die äußeren Beschreibungen von Konfliktsituationen in die inneren Konflikte der Figuren zu legen.
Das ist schon ein recht radikaler Gegenentwurf zum typisch bildungsbürgerlichen Wagnerianer-Kosmos…
Ja, genau. Wir wollen damit auch der Frage nachgehen: Was ist heutzutage Bürgerlichkeit? Ich glaube, dass Bürgerlichkeit ein Potemkinsches Dorf geworden ist. Wenn man so ein bisschen dagegenschlägt, zerbröckelt das. Muss dieser Gedanke der Bürgerlichkeit vielleicht reformiert werden? Aber was bedeutet das? Wir spüren die Krise des Konservatismus. Die CDU denk darüber nach, ihr „C“ abzuschaffen. Sind die Grünen nun die neuen Bürgerlichen? Darüber denken wir gemeinsam nach. Nicht so sehr im Hinblick auf Klassenkampf, sondern eher auf Milieus und Bildung.
„Ich hab’ halt Geld gebraucht“
Auch eine multikulturelle Gesellschaft kann bürgerlich sein. Ich bin ja selber mit meinem Migrationshintergrund bereits in der dritten Generation, also in Deutschland geboren. Und wir sind ja auch schon mitten in der bürgerlichen Welt drin. Aber vielleicht sieht sie jetzt anders aus. Und das meinte ich: Wenn Wolfram über Deutschland singt, sehen wir dieses gewaltige Bild mit hundert Leuten im Chor, die da ihre Fahnen schwingen, mit „Peace“-, „Fighting for Climate“- und Regenbogenflaggen. Vielleicht hat diese Gegenwelt schon mehr mit der Realität zu tun, als wir wahrhaben wollen.
Wenn über Sie geschrieben wird, wird immer gern erwähnt, dass Sie in jungen Jahren mal als Türsteher gearbeitet haben. Das müssen Sie mal ausführlicher erzählen.
Ich habe mit 16, 17 nachts angefangen in Bielefeld, um mir ein bisschen was dazu zu verdienen. Und das hat sich dann durch das gesamte Regiestudium durchgezogen. Also bis 24, da war ich schon in München. Ich habe tagsüber meinen Regieassistenten gemacht und Donnerstag, Freitag ging es danach in die Spätschicht von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens. Und am Samstagmorgen um zehn stand ich schon wieder als Regieassistent in den Münchener Kammerspielen. Ich hab’ halt Geld gebraucht. Ich habe keine Unterstützung von Zuhause gekriegt, und der BAföG-Satz, der lag nicht sehr hoch, da musste ich was dazu verdienen. Und nachts war für mich die einzige Chance zu arbeiten. Tagsüber wollte ich erst meine Schule und später das Regiestudium voranbringen. Mein Vater ist früh verstorben. Da war ich mit meiner Mutter alleine. Sie hat als Reinigungskraft im Krankenhaus gearbeitet. Da führte kein Weg daran vorbei, dass ich mir einen Job suchen musste. Meine Erfahrungen im Nachtleben habe ich übrigens in meinem zweiten Theaterstück verarbeitet: „Café Europa“, das seine Uraufführung im Schauspiel Essen hatte. Da habe ich alles reingepackt.
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