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Olaf Kröck
Foto: Oliver Mark

„Es geht um gesellschaftsrelevante Inhalte“

04. April 2022

Intendant Olaf Kröck über die diesjährigen Ruhrfestspiele – Premiere 04/22

engels: Erst kommt der Krieg, dann die Moral. Die Shareholder von Hentschel und Sohn haben wieder Oberwasser. Haltung und Hoffnung haben versagt, oder?

Olaf Kröck: Nein, Haltung und Hoffnung haben nicht versagt. Sie locken mich in eine rhetorische Falle. Sie haben Recht, dass wir heute wieder in Kriegsrhetorik denken und zum Teil sogar sprechen müssen. Wir müssen erschüttert feststellen, dass Haltung eben nicht nur heißt, dass man alles mit sich machen lässt. Wir haben ja offensichtlich gemerkt, dass das Friedensprojekt, das Europa ja auch bedeutet und das bei den Ruhrfestspielen mit dem Solidaritätsgedanken zutiefst einhergeht, dass das ein gefährdetes Gut ist, wenn ein Antidemokrat, eine Diktatur kommt und mit massivster militärischer Gewalt Unterdrückung an den Tag legt. Dann muss eine Demokratie auch Widerstand formulieren und dafür etwas opfern.

101 Produktionen und fast 300 Veranstaltungen – wer soll das eigentlich noch fassen und wer bestreitet die Weltpremiere?

Fassen tut das ein ganz breit aufgestelltes Publikum, das die Ruhrfestspiele treu begleitet. Wir haben am ersten Vorverkaufstag einen solchen Ansturm erlebt, der deutlich macht, dass Menschen unglaubliche Lust nach Kunst und Kultur haben – vor allem nach zwei Jahren der Pandemie. Sie sind hochneugierig und sie interessiert die Breite, sodass sie sich eben nicht nur auf prominente Highlights stürzen. Interessanterweise ist die Weltpremiere bei den Ruhrfestspielen eine Clownin aus Südamerika, die mit unglaublich liebevoller Weltsicht die Kunst des Clownseins endlich dahin zurückholt, wo sie hingehört, nämlich weg aus dem Bereich des Horrors, hin zum Bereich der Liebe und Wärme – und auch wieder zur Hoffnung.

Wenn wir die Historie der Ruhrfestspiele Revue passieren lassen, dann sind die Ruhrfestspiele heute – ich behaupte mal keck – ein Zehnspartenhaus. Warum hat sich das so entwickelt?

Zehn Sparten sind es nicht, es sind aber trotzdem viele. Das war schon ganz früh so, aber man hat das nicht so wahrgenommen. Das hat auch viel mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Wenn wir betrachten, wie man sich heute medial informiert – das ist sehr weit ausdifferenziert. Der Komplexität entspricht die Ausdifferenziertheit und das gilt auch für das Theater und die Theaterkunst. Die Ruhrfestspiele waren immer ein Festival, das sich an eine breite Öffentlichkeit gerichtet hat. Aber man kann sich nur an viele verschiedene gesellschaftliche Milieus richten, wenn man deren kulturelle Interessensgebiete auch wahrnimmt – wenn das aber eine Mischung ist, und unsere Mischung ist immer eine inhaltlich gedachte, dann geht es um politische, gesellschaftsrelevante Inhalte. Dem stehen das Kinder- und Jugendtheater, der Neue Zirkus, aber auch Teile des Schauspiels oder des Tanztheaters gar nicht im Wege.

Black Lives Matter – die Ruhrfestspiele zeigen auch ein Schwarzes Literaturfestival. Ist das noch Avantgarde bzw. noch keine Normalität?

Es ist noch überhaupt keine Normalität und ich halte es für zwingend notwendig, dass große Kulturveranstalter und Kunstfestivals sich diesen Themenkomplexen massiv und offensiv öffnen. Hier an dieser Stelle sehen wir offenkundig: Ich bin ein weißer Mann, ich kann gar nicht beglaubigt in dem Bereich kuratieren. Wir haben mit Sharon Dodua Otoo eine versierte, großartige Partnerin gefunden, mit der wir eine gemeinsame Sprache sprechen und die schnell verstanden hat, was unsere, ich sage mal Sehnsüchte sind – die Offenheit, die die Ruhrfestspiele immer schon formuliert haben und die wir noch etwas verstärkter formulieren wollen. Sie als Autorin, aber auch als Aktivistin für Schwarzsein in Deutschland hat diese Idee eingebracht, dieses Literaturfestival aufzuziehen, in dem es explizit um Schwarze, mehrheitlich noch nicht veröffentlichte Autorinnen und Autoren geht, denen ein Forum gegeben wird. Ein Forum – und gleichzeitig ein Nachdenken darüber: Was heißt das eigentlich, als Schwarzer in Deutschland in Deutsch zu schreiben?

Ruhrfestspiele 2022 | 1. Mai bis 12. Juni 2022 | Recklinghausen | 02361 921 80

Interview: Peter Ortmann

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