„Konstruktive Atmosphäre“ kennt man als Politikerphrase. Dort heißt das nicht unbedingt mehr, als dass Beteiligte ohne größere Reibereien miteinander geredet haben. Ganz anders jetzt im Nachbarschaftsheim, beim Auftakt zum „Tag des guten Lebens“: Die Stimmung war so geschäftig wie konzentriert. Und sie trug Früchte.
Besagter Tag findet am 30. August erstmals auch in Wuppertal statt. Zum ersten Mal überhaupt außerhalb Kölns. Das Projekt ist ein Kind der Domstadt, wo es die Aktion schon seit 2013 gibt. An dem Tag will man vorleben, wie es anders laufen kann, das Zusammenleben: gemeinschaftlicher und weniger konsumfixiert. Und die Mobilität: ohne Autos. Rund 24 Stunden nahmen bunte Initiativen je ein Kölner Viertel im jährlichen Wechsel in Beschlag, machten Spaß und gaben Anstöße. Das jedenfalls, die Übertragung vom Tag in den Alltag, ist Ziel der Macher hinter dem Kurzevent-Charakter. Sie sprechen von der „Praxis urbaner Nachhaltigkeits-Transformation“.
Nun also nehmen weitere Städte das Konzept auf. Gemäß dem Kölner Veedel-Vorbild bespielt in Wuppertal auch der 30.8. ein Quartier – und zwar den Ostersbaum, rund um den Platz der Republik. Für ganz Wuppertal, aber nur in einem Viertel: Diesen Eindruck hatte die Ankündigung nicht unbedingt erweckt. Und auch aus der lokalen Politik im Saal kam hierzu gleich eine Nachfrage. Schnell wurde aber klar, dass sich mit gutem Grund die ganze Stadt angesprochen fühlen durfte: Natürlich machen Zukunftsthemen vor Stadtteilgrenzen nicht halt. Hinzu kommt wohl ein praktischer Grund: Besetzen braucht auch Menge.
Und eine solche Menge war im Nachbarschaftsheim anwesend: VertreterInnen von Kulturorten wie der Börse und Initiativen wie Extinction Rebellion mischten sich mit Lokalpolitikern wie Jürgen Vitenius (SPD), Klaus Lüdemann (Grüne) und nicht zuletzt Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut, der in naher Zukunft vielleicht Politiker wird. Das Organisationsteam um Liesbeth Bakkers freute sich über so viel Zuspruch.
Zur Basis des guten Tags gehört, dass sein Raum für den Autoverkehr gesperrt wird. Auch Abschleppen ist demnach konsequent möglich. Aus der Praxis berichten konnten Sonja und Lisa aus Köln, die auch Optimismus zur Langzeitwirkung verbreiteten: „Wenn man begriffen hat, dass man seine Stadt selbst gestalten kann, dann geht man auch nicht mehr zurück.“
Im zweiten Teil des frühen Abends stürzte man sich fröhlich ins Tun und ging auf Tuchfühlung. Nicht zuletzt dies trug bei zu besagter Atmosphäre und weckte fast den Eindruck, der halbe Saal würde sich schon kennen. Wie konstruktiv diese geschäftige Phase war, zeigte sich anschließend: Am Ende waren an fünf „Stationen“ Flipcharts sowie eine Wäscheleine voll mit Vorschlägen. An Aktionen erwarten könnten den Ostersbaum demnach etwa eine Kleidertauschbörse oder ein Crashkurs in Gebärdensprache. So verschieden wie die Teilnehmenden auch so manche jener Ideen, die man sich fest installiert vorstellt: „Wurmkisten“ als ökologische Einrichtung wurden auf einem Zettel vorgeschlagen. Sozial-kreativ regte man auf einem weiteren einen „Hate-Converter“ an, nicht ohne nähere Erläuterung für solch eine wünschenswerte Maschine.
Man hofft auf weiteren Zuspruch quer durchs Tal: „Je mehr Platz wir brauchen, desto mehr werden wir sperren.“ Viele Wuppertaler, so die Hoffnung, können und sollen auf den Geschmack kommen, sinnvoll ihre Stadt einzunehmen. Damit ihre Idee für gutes Leben zumindest kurzzeitig ein kleines Stück Stadt einnimmt.
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