Die Verbräuche sinken beständig – und dann kam auch noch das PFT-Problem hinzu. Als Folge werden in den kommenden Jahren mindestens drei Trinkwasserwerke an der Ruhr dichtgemacht, regional nötige Versorgungsmengen im Zweifelsfall mit einigem Aufwand aus anderen Quellen beschafft. Aus der Aufgabe erwächst umgekehrt energetischer Nutzen: Wenn die Wasserförderung wegfällt, steigt das Potenzial, Strom aus Wasserkraft zu erzeugen.
Im Bochumer Süden, wo man sich seit geraumer Zeit an Kosterstraße & Co. mit einer großen Straßenbaustelle herumärgert, gibt’s erneut Bürger-Informationsbedarf. Ab 2014 werden wieder Straßen aufgerissen und gesperrt, bewegt sich eine Karawane gelber Baumaschinen bergauf: Von der Ruhr bei Witten durchs Lottental bis zur Ruhr-Uni-Südkante und quer rüber nach Brenschede. Es gilt, eine neue Trinkwasser-Versorgung zu legen – in 18 Monaten Bauzeit und mit mehr als 7 Mio. Euro Kosten.
Diesen Aufwand hätte sich die Wasserbeschaffung Mittlere Ruhr (WMR), ein Joint-Venture von Gelsenwasser und den Bochumer Stadtwerken, gern erspart. Hätte, hätte, Fahrradkette. Denn seit 2006 ist so einiges anders: Damals wiesen Wissenschaftler der Uni Bonn einen heftigen Anstieg perfluorierter Tenside (PFT) im Trinkwasser an der Ruhr nach. Die Chemikalie, gern verwendet in Reinigungsmitteln oder als Wasserabweiser für Papier und Textilien, war über Industrieabwässer und Landwirtschaft in den Fluss geraten. Weil diese Einleitung hauptsächlich im Oberlauf an der Möhne erfolgte, betraf sie eine Kette von Ruhr-Wasserwerken, wo das Flusswasser via Uferbrunnen meist nach drei bis fünf Tagen in der Verbraucher-Leitung landet.
Die Verbrauchsrückgänge machen mehrere Wasserwerke entbehrlich, Foto: Tom Jost
Aktuell gilt ein Grenzwert von 0,3 Mikrogramm PFT pro Liter – das lebenslange Trinken von zwei Litern Wasser pro Tag soll damit unbedenklich sein. Die Gesundheitsbehörden empfehlen jedoch einen „Zielwert“ von 0,1 Mikrogramm. Das Problem des Wasserwerks in Bochum-Stiepel: 2008 und 2010 wurde dieser Zielwert erneut kräftig überschritten. Abhilfe schaffen könnte die Nachrüstung der Wassergewinnung mit einer dritten und vierten Reinigungsstufe, die nicht nur PFT ausfiltert, sondern auch chemische Weichmacher oder Pillen-Rückstände. Aktivkohlefilter und Ozonisierung hätten aber locker 20 Millionen Euro gekostet, rechnet Stadtwerke-Fachfrau Heike Paplewski vor – fast das Dreifache des Leitungsbaus zum (bestens ausgerüsteten) Wasserwerk Witten. Ende 2015 soll Stiepel nun stillgelegt werden.
Es wird nicht die einzige Abschaltung sein. Flussaufwärts richtet sich Ulrike Hütter von den Wasserwerken Westfalen (WAW) darauf ein, in den kommenden Jahren ebenfalls zwei Gewinnungsanlagen aufs Altenteil zu schicken: Ergste und Westhofen II müssten nach der Ertüchtigungsanordnung der Landesregierung sonst dito mit jeweils 20 Mio. Euro nachgerüstet werden. Freilich sind die dort geförderten Wassermengen allmählich entbehrlich. „Unsere heutige Jahresproduktion hat man früher allein nach Dortmund geliefert“, sagt Hütter. „Stahlwerke, Zechen, Brauereien – die ganzen Großkunden sind nicht mehr da.“ Auch die privaten Haushalte wurden im Laufe der Zeit weniger, und deren Pro-Kopf-Verbräuche sinken seit Jahren sowieso.
In der Rheinschiene stellen sich solche Fragen sonderbarerweise kaum. Wohl wegen der einst recht hohen Belastung des deutschen Major-Flusses sind die Wasserwerke schon seit Jahren mit Multi-Barrieren-Systemen gut aufgestellt, versichert Michael Pützhofen für die Stadtwerke Düsseldorf: „Mit PFT und Hormonen und Stimmungsaufhellern haben wir in der Wassergewinnung momentan keine Probleme. Das ist beachtlich, wenn man allein bedenkt, welche Mengen Schmerzmittel pro Jahr in Deutschland eingenommen werden. Die Hälfte davon landet wieder im Abwasser und wird auch von den Kläranlagen nicht entfernt.“ Na ja – als Fortuna Düsseldorf- oder FC-Fan könnte man vielleicht doch eine Basisversorgung mit Antidepressiva gebrauchen.
Düsseldorfs Norden hat dennoch ein Problem, das aber eher Duisburgs Wasserkunden betrifft. Am Flughafen hantierte die Feuerwehr offenbar jahrelang unsachgemäß mit PFT-haltigen Löschmitteln, die Brühe lief in den Boden und bewegt sich nun großflächig auf das Wasserwerk Kaiserswerth zu. Drei kleine Badeseen sind erheblich belastet, die Grundwasserentnahme hat die Landeshauptstadt hier vorsorglich verboten. Noch kann sich Duisburgs Versorger retten, indem er das Kaiserswerther Wasser mit dem aus unbelasteten Brunnen mischt. Über kurz oder lang rechnen Fachleute aber auch hier mit der Wasserwerk-Stilllegung.
Was folgt, wenn die Wasserförderung geht? In Bochum hat man sich für einen Ausbau der Stromerzeugung entschieden. Bisher speisten sechs Turbinen nach Abzug der Energie, die für die Trinkwasser-Förderpumpen benötigt wurde, jährlich etwa eine Million Kilowattstunden ins Versorgungsnetz ein. Nach dem Aus für das Wasserwerk soll die Generatorenleistung auf sechs Millionen kWh erhöht werden – mit ein oder zwei neuen Turbinen. Auch die WAW hat entschieden, dass ihre zu schließende Anlage „Westhofen II“ künftig nur noch Ökostrom liefern soll – etwa dieselbe Menge wie Bochum-Stiepel. Mit Wasser kann man’s ja machen.
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