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Über die Ehre

30. Mai 2012

Geschichten von Herrn Keiner – Lesung 06/12

Bei einem Gespräch im Bekanntenkreis wandte sich Herr K. entschieden dagegen, das Geltendmachen von Ehrfragen für eine naturgegebene Willensäußerung der menschlichen Gattung zu halten. Er sagte: „Für die Unteren ist es sogar ausgesprochen schädlich, den Standpunkt der Ehre einzunehmen und ihr Denken und Handeln an diesem Maßstab auszurichten. Das ist nicht nur an jeder Wirtshausschlägerei zu besichtigen, sondern auch auf allen Kriegsschauplätzen dieser Welt, auf denen die Unteren auf dem ‚Feld der Ehre‘ ihr Leben einzusetzen und oft genug zu opfern haben.“

„Aber Herr K.“, wandte ein Diskussionsteilnehmer ein, „sicher ist ein extremes Behaupten von Ehrfragen abzulehnen, aber ist es nicht ein Zeichen der Würde des Menschen, ein Ehrgefühl zu besitzen und dieses gegen jede Diskriminierung zu verteidigen?“ „Nein“, sagte Herr Keiner, „gegen diesen verbreiteten Irrglauben wollte ich gerade anreden. Die Menschen kommen nicht mit Ehrgefühlen auf die Welt, sie werden von Schule, Kirche und Elternhaus dazu erzogen, solche Gefühlsäußerungen für natürlich zu halten. Für die Unteren ist dies deshalb schädlich, weil sie vom eingenommenen Standpunkt der Ehre die Verfolgung der eigenen materiellen Interessen für gering erachten sollen. Was viel wesentlicher für sie zählen soll, ist das Anliegen, als wertvolle Bestandteile ihrer jeweiligen familiären oder nationalen Gemeinschaft Anerkennung zu finden.

Dabei finden sie im Berufsleben, in Ehe, Familie und Vaterland alles vor, was ihrer Obrigkeit hoch und heilig ist, und ich halte es für nicht gut“, fuhr Herr K. fort, „wenn sich die Unteren ihre Selbstverpflichtung auf diese „Gegebenheiten“ als ihre wahre Größe und Würde zu Gute halten.

Denn so lassen sie sich darauf verpflichten, sich nicht im Gegensatz zu anderen, maßgeblichen Interessen in dieser ‚Gemeinschaft’ zu sehen, sondern ihnen soll es vor allem anderen darauf ankommen, ihren Einsatz in diesen Verhältnissen als Dienst und treue Pflichterfüllung gewürdigt zu bekommen. Darauf sollen sie stolz sein, diese Einstellung sollen sie sich als ihre Ehre anrechnen und gegen Übergriffe verteidigen.“

Derjenige Diskussionsteilnehmer, der sich mit den Ausführungen von K. nicht einverstanden gezeigt hatte, meldete sich wieder zu Wort und fragte: „Wollen sie etwa damit sagen, dass die Unteren in dieser Gesellschaft schlecht beraten sind, wenn sie sich auf den Standpunkt ihrer persönlichen Würde und Ehre stellen und betroffen reagieren, wenn sie diese verletzt sehen?“ „Ja“, sagte Herr K., „genau das wollte ich sagen“.

Der so Angesprochene schaute etwas ratlos drein und sagte: „Ich habe das Geltendmachen von Ehre und Würde immer für eine wertvolle menschliche Äußerung gehalten. Aber da bin ich mir nach Ihren Ausführungen nicht mehr so sicher. Darüber muss ich noch einmal genauer nachdenken.“

Herr K. entgegnete: „Vielleicht hilft für das weitere Nachdenken noch der Hinweis, dass sich der Mensch, der mit der Frage der Ehre geistig abgerechnet hat, im Leben viele unnötige Streitereien ersparen kann, denn ihn kann man nicht mehr beleidigen. Denn wie soll man jemanden beleidigen können, wenn ihm nichts von dem bedeutet, was ihm vorgeworfen wird. Soll er sich verletzt fühlen, wenn ihm vorgeworfen wird, dumm, faul oder unpatriotisch zu sein, wenn er keinen Wert darauf legt, für schlau, fleißig oder vaterlandsliebend gehalten zu werden? Er wird die Absicht seiner Kritiker registrieren, ihn nach deren moralischen Maßstäben für wertlos zu erklären und es dabei bewenden lassen. Denn wenn die Menschen erst anfangen sich mit Ehrfragen zu drangsalieren, ist es mit jeder sachlichen Auseinandersetzung vorbei. Solchen Streitereien geht man tunlichst aus dem Wege“, sagte Herr K.

„Lesung“ aus demBuch: Herrschaftszeiten. Geschichten von Herrn Keiner | Von Ulrich Schulte | www.herrkeiner.com

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