Als Philippine Bausch, von aller Welt „Pina“ genannt, im vergangenen Jahr für die meisten vollkommen überraschend und nach Meinung aller zu früh starb, wurde nach einem ersten Moment der Fassungslosigkeit sofort die Frage gestellt, wie es denn um „ihr Ensemble“, dem nach ihr benannten Tanztheater Wuppertal, bestellt sei. Natürlich war es vollkommener Quatsch anzunehmen, diese zu Recht weltberühmte und renommierte Formation könne ohne ihre Prinzipalin nicht weitermachen. Schließlich lebt die Kompagnie nicht von der Hand in den Mund, sondern von langfristigen Verträgen, bestens abgestimmt und feinstens austariert mit Gastspielen in der ganzen Welt. Eine offizielle Mitteilung gab im März dieses Jahres Entwarnung, die Zukunft des Tanztheaters sei gesichert, eine neue Leitungsstruktur mit zwei Künstlerischen Geschäftsführern und einer Kaufmännischen Geschäftsführerin sei installiert. Dominique Mercy, Tänzer der ersten Stunde und seitdem Ensemblemitglied, zusammen mit Robert Sturm, langjähriger Künstlerischer Assistent von Pina Bausch, sind seither für den künstlerischen Bereich verantwortlich, Cornelia Albrecht ist und bleibt die Kaufmännische Leiterin.
Wie sich das aufs Ensemble auswirkt? Profan gesprochen aus der Außenansicht in bloß einem Punkt deutlich, denn bislang gibt es keine neue Inszenierung, und ob es jemals etwas Neues vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zu sehen geben wird, wissen nicht einmal Insider zu beurteilen.
NICHTS NEUES, DAFÜR BEWÄHRTES
Ob das wirklich schlimm, tragisch oder bemerkenswert ist, kann angesichts der vielen sehenswerten Stücke zunächst vollkommen gleichgültig bleiben. Denn Philippine Bausch, Ehrenbürgerin der Stadt und bei ihrem Tod von vielen geliebt und bewundert, hat Jahr für Jahr ein neues Stück herausgebracht. Und an diesem Vermächtnis kann die Tanzwelt sich heute noch erfreuen. Übrigens war das nicht immer so: Als die junge Folkwang-Absolventin vom damaligen Intendanten Arno Wüstenhöfer in den 70er Jahren zur Leiterin der Ballettsparte in Wuppertal ernannt wurde, wurde die später als wichtigste Choreografin der Gegenwart und Kultfigur verehrte Frau wegen ihrer revolutionären Tanzinterpretationen mit Vorliebe beschimpft und ausgebuht.
Vom 15. bis 17. Oktober ist das Tanztheater nun in der Oper zu sehen. Auf dem Spielplan steht „Danzón“, dessen Uraufführung im Mai 1995 an gleicher Stelle stürmisch bejubelt wurde – übrigens mit Pina Bausch als Tänzerin. Zu Liedern und Arien von Francesco Cilea, Umberto Giordano und Gustav Mahler bewegen sich die Tänzer. Und wie bei all ihren anderen Inszenierungen hat Pina Bausch vorher genau hingeschaut auf die tanzwütigen Menschen – „Danzón“ heißt „Tanzwut“ – und wie sie sich verhalten, immer wieder etwas Neues, Komisches, Widersprüchliches und Wahres an ihnen entdeckt und auf die Bühne gebracht. Letztendlich ging es bei allem um einen unverstellten, genauen Blick, der sich nicht vorschreiben ließ, was er im Einzelfall bedeutsam findet. Ihre Regel war, dass es keine Regeln gab. Zur Instrumentalmusik von Henry Purcell und Camille Saint-Saëns, den Liedern und Schlagern aus Mexiko, Argentinien, Griechenland und Portugal, ebenso wie Jazzmusik von Ben Webster, Billie Holiday, Johnny Hodges scheint das Ensemble getrieben von einer empathischen Sehnsucht zu sein, von einem Drängen nach dem einen, von Geist und Schönheit ganz durchdrungenen Augenblick.
Übrigens war „Danzón“ das erste Stück, in dem imposante, überdimensionierte Aufnahmen, in diesem Falle Unterwasseraufnahmen, eine wichtige Rolle spielen.
Wem die bloß 75 Minuten dauernde getanzte Weltein- und -ansicht nicht reicht, darf sich direkt um Karten für den November bemühen. Vom 19. bis 21. November ist „Agua“ zu sehen, ehe die 2008-Inszenierung „Sweet Mambo“ vom 25. bis 28.11. auf die Bühne kommt.
REISE ANS ENDE DER NACHT
Dass das Regelmäßige oft wenig überraschend ist, wusste nicht nur die große Pina Bausch, unterhalten wollen auch die Künstler der ersten Wuppertaler PerformanceNacht. Am Freitag, 22. Oktober, werden sieben Locations zu Kunstorten, die als Plattform für internationale Aktionen dienen. Gezeigt werden sollen die unterschiedlichen Ansätze und Facetten dessen, was diese Kunstformen so interessant und wichtig macht. Planmäßig beginnt die erste Performance um 18 Uhr, die letzte nach Mitternacht. So ist die Wuppertaler PerformanceNacht eine Reise durch die Stadt, eine Begegnung an unterschiedlichen Orten und das Erlebnis verschiedener, höchst spannender Aktionen, heißt es seitens der Organisatoren aus dem Kulturbüro. Unter anderem werden an der Hebebühne, dem ort an der Luisenstraße und den Arrenbergschen Höfen szenische Aufführungen, Projektionen und verwandelte Räume, rhythmische Grafiken und Tänze erlebbar gemacht.
Die Geschichte der Performance als Kunstform ist lang. Bereits Futuristen und Dadaisten erprobten sie mit ihren Mitteln, in den 70er Jahren wurde sie zu einer eigenen Gattung der Bildenden Kunst und entwickelte seitdem die verschiedensten Ausprägungen. Erstaunlicherweise fehlt diesem amorphen Wesen ein regelmäßiges Forum. Die Zusammenarbeit der Wuppertaler Kunstinstitutionen erlaubt ein konzentriertes und spannendes Erlebnis unterschiedlicher Positionen aktueller Performancekunst. Dabei lebt das Ereignis vor allem von der vergänglichen Lebendigkeit des Augenblicks und von der Unmittelbarkeit und Authentizität der Darbietung durch die Künstler und Künstlerinnen.
Sich im Korsett der Konventionen zu bewegen, schien für die Tanzikone Pina Bausch kein probates Mittel zu sein, die Dinge des Lebens darzustellen. Auch die Akteure der ersten Wuppertaler PerformanceNacht wollen mit ungesehener Ausdruckskraft neue Blickwinkel entstehen lassen. Offensichtlich dürfen Zuschauer sich auf einen heißen Herbst freuen.
Karten für das Tanztheater Wuppertal gibt es im Netz bei
www.pina-bausch.de/tickets,
postalisch bei WSW TopTicket, Alte Freiheit 26, 42103 Wuppertal,
Fax: 0202 569 24 76 oder am Reservierungstelefon: 0202 569 44 44
Weitere Informationen zur PerformanceNacht erteilt das Kulturbüro der Stadt Wuppertal, Urs Kaufmann, Tel: 0202 563 29 57, Urs.Kaufmann@Stadt.Wuppertal.de
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