Herr Hamann, bis 2050 sollen die CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent reduziert werden – und der Gebäudesanierung kommt große Bedeutung zu. Doch komischerweise redet man fast nur über Wohnhäuser …
Achim Hamann: Genau, die sogenannten Nichtwohngebäude werden stark vernachlässigt. Viele können sich schon unter dem Begriff nicht wirklich etwas vorstellen, obwohl sie ihr berufliches und teilweise privates Leben darin verbringen. Also fast 1/3 ihres Lebens. Aber der Datenbestand ist auch praktisch gleich null – die letzten Erhebungen fanden 1950 statt.
Gut 40 Prozent des Wärmeverbrauches entsteht in Gebäuden, die nicht fürs Wohnen und Schlafen gedacht sind: Arbeitsstätten und zugige Bahnhöfe etwa – aber auch Kneipen, Kinos und Kitas. Welche haben Sie noch unter die Lupe genommen?
Das Bild ist viel komplexer als bei Wohngebäuden. Insgesamt habe ich 38 Kategorien unterschieden. Hauptgruppen sind Bildungsgebäude, Verwaltungs- und Bürogebäude, Kliniken, Sportbauten, kulturelle und kirchliche Einrichtungen sowie der große Bereich Produktion/Gewerbe/Lager/Logistik.
In einer überheizten Kirche habe ich schon lang nicht mehr gesessen …
Das stimmt, die werden nur zeitweise und nur bis 16°C geheizt … die Gebäudehülle verliert zu viel Wärme. Ihr Potenzial liegt daher zunächst in einer modernen Heiztechnik.
Jetzt könnte man als Sofortmaßnahme ja empfehlen, alle Raumtemperaturen um 1 bis 2 Grad zu senken … dann wäre Ihre Doktorarbeit aber recht dünn ausgefallen …
Real habe ich mich als Externer drei Jahre parallel zu meinem Beruf im Grunde in Vollzeit plus X mit Lösungen beschäftigt. Ein Professor aus der Zeit meines Erststudiums gab die Losung aus: „Dann nehmen wir eben Samstag und Sonntag dazu.“ So geschah es.
Was geht baulich? Das übliche Programm mit neuer Heizung, Fenstern und Fassade? Oder auch Umsatteln auf erneuerbare Wärmequellen?
Insgesamt müssen drei Strategieansätze verfolgt werden: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Das meint: „Besser! Anders! Weniger!“, damit das Ziel einer 80-prozentigen CO2-Minderung auf Stadtebene bis zum Jahr 2050 erreicht wird. Was diese gesellschaftliche Herausforderung bedeutet, ist den wenigsten klar. Natürlich muss die Gebäudehülle verbessert werden, damit der CO2-Einsatz auf 30 Prozent oder weniger sinken kann. Die Sanierungsrate liegt aktuell bei 0,65 Prozent des Bestandes – zwei Prozent im Jahr brauchen wir dringend. Erneuerbare Wärmeenergien müssen einen Anteil bis etwa 56% erreichen, der Strom für Wärmepumpen muss dito „öko“ sein. Und schließlich muss man den Zuwachs über die Fläche stoppen. Das hört sich vielleicht dramatisch an, ist es aber nicht. Entscheidend ist, den Einklang zwischen Abriss und Ersatzneubauten zu finden. Heute werden immer noch alte Gebäude ohne Denkmalscharakter erhalten und irgendwie, aber unwirtschaftlich weiter genutzt.
Eine Schule wird in den großen Ferien wohl zumindest zu teilsanieren sein. Doch wie organisiert man solche Umbauten in einer Klinik oder einem Pflegeheim?
Dafür gibt es Fachleute und Planungsbüros, die machen es weniger holprig. Aber ohne das Mitspielen der Nutzer, ohne Abschnittslösungen und Provisorien geht’s nicht.
Sie haben berechnet, dass sich schon bei Nachrüstung auf den zwischen 1995 und 2010 gültigen Standard schnelle Minderungspotenziale von einem Drittel ergeben. Sind die auch zu bezahlen?
Ja. Wenn das Investitionsvolumen genauso wie die Wärmeenergie effizient eingesetzt wird.
Wo Gebäude große Defizite aufweisen, hat man offenbar bisher energetisch wenig unternommen. Was schreckt die Eigner ab?
Meine Befragungen bei Akteuren vor Ort haben gezeigt, dass diese grundsätzlich interessiert und willig sind. Sie „ersaufen“ im übertragenen Sinne jedoch im Tagesgeschäft und es bleibt kein Spielraum, sich mit „Randthemen“ zu beschäftigen. Das gilt vor allem für den Bereich des Wirtschaftsbaus, der jedoch 80 % der CO2-Emissionen im Nichtwohngebäudesektor verursacht.
Verhalten sich eigentlich kommerzielle Unternehmen anders als Non-Profit-Organisationen?
Im Grunde ja: Sie haben kein Gebäudemanagement wie beispielsweise die Stadt, sie greifen auf keine Fördertöpfe zu und sie investieren nicht in innerstädtische Lagen ohne Aussicht auf flächenmäßiges Erweiterungspotenzial, was jedoch zur Steigerung der Sanierungsrate wichtig wäre.
Wem fällt die Rolle der treibenden Kraft zu?
Aus meiner Sicht den Kommunen und Organisationen wie Energieagenturen, und zwar deswegen, weil die privaten Akteure aus dem Wirtschaftsbau angestupst werden müssen. So wie bei sozialen Netzwerken. Dann kommen sie ins Rollen.
Sie haben sich als Forschungsgebiet Ihrer Dissertation einen Stadtteil in Wuppertal ausgesucht. Was macht die Stadt so interessant?
Unabhängig, dass es die Bergische Uni und das Wuppertal-Institut als Think Tank gibt und hier die Promotionsmöglichkeit bestand, ist die Stadt sehr engagiert beim Thema Klimaschutz. Aus bautechnischer Sicht ist sie sehr interessant, weil im Grunde alle Nichtwohngebäude-Typen vertreten sind und der Branchenmix relativ repräsentativ ist. Will heißen: Wuppertal ist eine Blaupause.
Und was sagten Ihre Profs zu der Arbeit?
Ein klares „sehr gut“. Und: „Da haben Sie aber etwas rausgehauen …“
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